Pflege berührt

Bei jedem Fest dabei

Text: Thors­ten Bayer
Fotos und Video: Mar­kus Gmeiner/Yohana Papa Onyango

Mit nur 25 Jah­ren ver­un­glückte Pir­min Jenny schwer. Auch als Roll­stuhl­fah­rer ist er höchst aktiv: Musik­ver­ein, Feu­er­wehr, Gemein­de­ver­tre­tung. Die Unter­stüt­zung des Kran­ken­pfle­ge­ver­eins, vor allem aber sei­ner Frau Elke machen‘s möglich.

Ein trü­ber Win­ter­tag in Marul. Bei die­sem dich­ten Schnee­fall sieht man die Hand vor Augen kaum. Vor der Tür emp­fängt mich Lukas, der Hauska­ter der Fami­lie Jenny. Ihm ist es drau­ßen zu unge­müt­lich gewor­den, er möchte zurück ins Haus. Dort war­tet bereits Elke, bie­tet Kaf­fee und selbst­ge­ba­ckene Kekse an. „Ser­vus, ich bin der Pir­min, wie der Zur­brig­gen“, stellt sich der 53 Jahre alte Haus­herr gut­ge­launt vor und legt mit einer Hand einige Holz­scheite in den Kachel­ofen. „Die linke Hand ist die gesün­dere. Ich habe alles neu ler­nen müs­sen, wie ein Klein­kind“, erklärt Pir­min und manö­vriert mit links sei­nen elek­tri­schen Roll­stuhl an den Küchentisch.

28 Jahre ist sein schwe­rer Unfall her: Damals war der gelernte Maschi­nen­schlos­ser mit dem Auto unter­wegs. Zwi­schen Faschina und Fon­ta­nella kam er in eine dichte Nebel­wand. Das Auto prallte gegen die Leit­planke und blieb schließ­lich auf einem gro­ßen Stein lie­gen. Noch im Ret­tungs­wa­gen sagte er zu sei­nem Haus­arzt, der zufäl­lig in der Nähe war: „Ich spüre meine Beine nicht.“ Nach drei Wochen auf der Inten­siv­sta­tion und drei Wochen sta­tio­när in Feld­kirch ging es zur Reha­bi­li­ta­tion nach Bad Häring bei Wörgl.

Umstel­lung

Durch einen Zufall lernte er dort die Über­sax­ne­rin Elke ken­nen. Die damals 18-Jäh­rige besuchte mit einer Freun­din einen Kol­le­gen, der selbst Pati­ent in Bad Häring war. Der hei­mi­sche Dia­lekt fiel Pir­min sofort auf, der die bei­den Vor­arl­ber­ge­rin­nen direkt ansprach. „Schade um den jun­gen, hüb­schen Kerl“, dachte sich Elke damals, die von sei­nem Unfall aus den Medien erfah­ren hatte. Seine posi­tive Art gefiel ihr auf Anhieb, sie nahm ihn mit in die Kan­tine der Kli­nik – und kehrte bald nach Bad Häring zurück, die­ses Mal allein. Eine unge­wöhn­li­che Lie­bes­ge­schichte nahm ihren Anfang.

Anfangs kos­tete es mich schon Über­win­dung, ihn mei­nen Freun­den und mei­ner Fami­lie vor­zu­stel­len. Doch das legte sich bald. Seit­dem ste­hen sie hin­ter uns“, erzählt Elke. Zunächst hatte ihn noch sein Vater gepflegt, bald über­nahm sie den Groß­teil: Mor­gens hilft sie ihm bei­spiels­weise aus dem Bett und bei der Mor­gen­toi­lette. Danach zieht sie ihn an, setzt ihn in den Roll­stuhl und macht das Frühstück.

1994 hei­ra­tete das Paar und zog direkt danach in Pir­mins Eltern­haus in Marul, das in der Zwi­schen­zeit umge­baut wor­den war. Ein Jahr spä­ter kam Alex­an­der zur Welt, Chris­tina (20) und Patrick (17) folg­ten: „Es ist ein gro­ßes Glück, dass wir drei gesunde Kin­der bekom­men konn­ten. Sie sind mir auch eine große Hilfe“, sagt sie. Bis zur ers­ten Schwan­ger­schaft hatte Elke als Ein­zel­han­dels­kauf­frau gear­bei­tet, seit­dem ist sie zuhause. „Sie ist zum Nichts­tun gezwun­gen“, kri­ti­siert Pir­min, „ihr Zuver­dienst würde bei mir wie­der abge­zo­gen. Das gehört drin­gend geändert.“

Info

Kran­ken­pfle­ge­ver­eine in Vorarlberg
Die 66 pri­va­ten Kran­ken­pfle­ge­ver­eine küm­mern sich lan­des­weit um Men­schen, die nicht mehr die Kraft haben, sich selbst zu ver­sor­gen. Über 300 Kran­ken­pfle­ge­rin­nen und ‑pfle­ger sowie Pfle­ge­hel­fe­rin­nen und ‑hel­fer leis­ten medi­zi­ni­sche Pflege und sind Ansprech­part­ner in Fra­gen der Betreu­ung zuhause. Rund 62.000 Mit­glie­der tra­gen diese Soli­dar­ge­mein­schaft. Mit durch­schnitt­lich 30 Euro Mit­glieds­bei­trag pro Jahr erhal­ten sie die Unter­stüt­zung in der Pflege und Betreu­ung in ihrem Zuhause. Wei­tere Infor­ma­tio­nen: www.hauskrankenpflege-vlbg.at, Tele­fon 055 72/34 935.

Enga­giert

Auch nach der Berufs­tä­tig­keit hat er alle Hände voll zu tun: Er ist Kas­sier bei der Was­ser­ge­nos­sen­schaft und der Feu­er­wehr in Rag­gal, Mit­glied im Kir­chen­chor und im Musik­ver­ein. Als Obmann-Stell­ver­tre­ter des Sozi­al­res­sorts der Gemein­de­ver­tre­tung hilft er mit beim Auf­bau eines „Essen auf Rädern“-Service für Rag­gal: „Frü­her habe ich mich nicht für sol­che The­men inter­es­siert, aber nach dem Unfall habe ich ein grö­ße­res Bewusst­sein ent­wi­ckelt.“ Von Iso­la­tion als Roll­stuhl­fah­rer keine Spur: Durch­schnitt­lich ist er jeden drit­ten Abend unter­wegs. „Hier bin ich bei jedem Fest dabei, das ist der Vor­teil des Land­le­bens“, fin­det er.

Beson­ders liegt ihm der Musik­ver­ein am Her­zen, in dem er seit 38 Jah­ren aktiv ist. Im kom­plett holz­ver­klei­de­ten Pro­be­lo­kal neben der Rag­ga­ler Kir­che fällt der Blick durch große Fens­ter auf die Gip­fel von Falf­kopf und Löf­fel­spitz gegen­über. Direkt über Rag­gal liegt der Hohe Fra­ßen, Namens­ge­ber des Musik­ver­eins Fra­ßen­echo. Vor dem Unfall waren Kla­ri­nette und Saxo­fon seine Instru­mente, bei denen er beide Hände brauchte. Dann kam das Ange­bot des Ver­eins: „Wir kau­fen ein Horn, wenn Du umlernst.“ Gesagt, getan – wenn auch mit Ver­zö­ge­rung. Ursprüng­lich hatte Pir­min schon beim Weih­nachts­kon­zert 1989 mit­spie­len wol­len, 1995 war es dann so weit. Seine Toch­ter spielt in der­sel­ben Gruppe Posaune und beglei­tet ihn zu den Pro­ben. Im Kir­chen­chor sin­gen die Ehe­leute gemein­sam, Elke spielt in Nüzi­ders Alt­flöte. „Mir sind schon gnuag zemma“, erklärt sie mit anste­cken­dem Lachen.

 

Vom wil­den Hund der Bruder“

Zwei- bis drei­mal pro Woche kom­men Mit­ar­bei­te­rIn­nen des Kran­ken­pfle­ge­ver­eins Gro­ßes Wal­ser­tal zur Unter­stüt­zung. Sie kathe­te­ri­sie­ren und duschen Pir­min ein­mal. „Das heißt aber nicht, dass ich mich nur ein­mal in der Woche dusche“, sagt Pir­min mit einem Augen­zwin­kern. Am meis­ten ver­misst er in sei­nem neuen Leben die eigene Mobi­li­tät im All­ge­mei­nen und das Auto­fah­ren im Spe­zi­el­len. Das war vor dem Unfall seine große Lei­den­schaft. Damals war er nicht ange­schnallt, „das wäre ich heute auch noch nicht.“

Seine Prio­ri­tä­ten haben sich geän­dert: „Wahr­schein­lich wäre ich sonst immer noch nicht ver­hei­ra­tet.“ Ein Lebe­mensch sei er gewe­sen, „vom wil­den Hund der Bru­der“. Nun habe er eine liebe Frau und drei Kin­der, die zu ihm hal­ten. Und dass ihn alle akzep­tie­ren, ist für ihn keine Selbstverständlichkeit.

Der Neu­start nach dem Unfall war in vie­ler­lei Hin­sicht holp­rig. Kurz nach sei­ner Ent­las­sung aus der Reha-Kli­nik wollte er mit sei­nem Roll­stuhl einen Nach­barn besu­chen. Der Weg ging leicht bergab und hatte eine Was­ser­rinne, schon stürzte er. Zehn Tage Spi­tal in Feld­kirch waren die Folge. Zu die­ser Zeit zogen sich zunächst einige Bekannte und Freunde zurück – aus Unsi­cher­heit, wie sie mit Pir­min und der neuen Situa­tion umge­hen. „Wir hät­ten Dich schon besucht, aber wir wuss­ten nicht, was wir mit Dir reden soll­ten“, sag­ten ihm man­che. Seine prompte Ant­wort: „Du kannst mit mir über Wei­ber schwät­zen wie vor­her auch.“

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