Pflege berührt

Vorbilder für Lebensfreude

Text: Thors­ten Bayer
Fotos und Video: Mar­kus Gmeiner/Yohana Papa Onyango

Er war Fuß­bal­ler und Berg­stei­ger. Seit einem Unfall vor 28 Jah­ren ist Peter Reith quer­schnitts­ge­lähmt. Ebenso lange pflegt ihn seine Frau Hil­de­gard, die dafür alles andere auf­ge­ge­ben hat. Jam­mern gilt nicht: „Das Leben ist doch so schön.“

Beim Tan­zen haben sich Hil­de­gard (80) und Peter Reith ken­nen­ge­lernt. Wann war das genau? Hil­de­gard muss kurz nach­den­ken, Peter ist schnel­ler. „Im Sep­tem­ber 1957“, sagt er mit brei­tem Lächeln, freut sich über sein gutes Gedächt­nis. „Die wich­ti­gen Dinge hat man im Kopf“, fin­det er und blickt seine Frau lie­be­voll an. 1954, drei Jahre vor dem ers­ten Tref­fen, war er aus sei­ner stei­ri­schen Hei­mat nach Vor­arl­berg gekom­men. Ein gelern­ter Maler und sport­ver­rück­ter jun­ger Mann, der bis zu sei­nem Umzug selbst noch als Fuß­bal­ler („halb­rechte Posi­tion“) aktiv gewe­sen war. In Vor­arl­berg lernte er vor allem die Berge zu schät­zen. Die höchs­ten Gip­fel des Lan­des wie Piz Buin oder Sche­sa­plana bestieg er mehr­fach. Dass der höchst­klas­sierte Fuß­ball­klub des Lan­des wie er in Alt­ach zuhause ist, gefällt ihm sehr. Lange war er Stamm­gast bei Heim­spie­len. „Jetzt ist´s mir zu kalt“, fin­det er und zeigt das nächste ent­waff­nende Lächeln. Denn die Tem­pe­ra­tu­ren sind das eine, die Beschwer­lich­kei­ten als Roll­stuhl­fah­rer in einem Sta­dion das andere. Doch dar­über beschwert sich der 84-Jäh­rige nicht. „Was soll´s? Jetzt ver­folge ich die Spiele eben im Fern­se­hen oder am Radio.“ Hin und wie­der kann er doch live bei einem Spiel dabei sein. In der Alli­anz Arena, dem Sta­dion des FC Bay­ern Mün­chen, war er auch schon.

Lie­be­voll und bescheiden 

Der Unfall stellte das Leben der bei­den auf den Kopf. Tags zuvor hatte er noch sei­nen 56. Geburts­tag gefei­ert. Eigent­lich wollte er an die­sem 10. Februar 1990 zuhause blei­ben und Ski­ren­nen schauen. Doch er machte sich auf in seine gelieb­ten Berge, die­ses Mal Rich­tung Alpe Gsohl bei Hohen­ems. Auf dem Rück­weg rutschte er auf einer Wur­zel aus, stürzte unglück­lich und ver­letzte sich schwer am vier­ten Hals­wir­bel: eine soge­nannte hohe Quer­schnitts­läh­mung. Der Fach­be­griff „Tetra­ple­gie“ lei­tet sich von der grie­chi­schen Vor­silbe „tetra“ für vier ab: Alle vier Extre­mi­tä­ten sind betrof­fen. Hände und Füße kann er seit­her nicht mehr bewegen.

Nach dem Unfall folg­ten sie­ben Wochen Spi­tal­auf­ent­halt in Feld­kirch und neun Monate Reha in Tirol. In die­ser Zeit wurde das Haus roll­stuhl­ge­recht umge­baut, bei­spiels­weise mit Trep­pen­lif­ten. Den­noch stand die Frage im Raum: Kann man ihn nach­hause brin­gen? „Pro­bie­ren wir es halt“, fand Hil­de­gard. Die Umstel­lung war rie­sig: „Er hat anfangs gar nix kön­nen“, erin­nert sie sich kopf­schüt­telnd. „Noch nicht ein­mal umbrin­gen kann ich mich“, hatte Peter im Spi­tal ange­sichts sei­ner Läh­mung zuerst gedacht. Heute sieht er das ganz anders: „Was für ein Glück, das Leben ist doch so schön.“

Hil­de­gard, gelernte Weiß­nä­he­rin aus Ober­ös­ter­reich, musste damals von heute auf mor­gen auf­hö­ren zu arbei­ten. Mit 52 Jah­ren wurde die Pflege ihres Man­nes zu ihrer Haupt­auf­gabe. Unter­stützt wurde sie von Anfang an vom Kran­ken­pfle­ge­ver­ein Alt­ach. Täg­lich kommt seit­her eine Mit­ar­bei­te­rin am Vor­mit­tag zum Duschen. Alles andere über­nimmt Hil­de­gard selbst. Erst seit einem Jahr ist die 24-Stun­den-Pfle­ge­rin Elena im Haus. Vier Wochen ist sie in Alt­ach, vier Wochen zuhause in Rumä­nien. Für Bri­gitte Wei­ler-Wür­tin­ger, Pfle­ge­lei­te­rin des Kran­ken­pfle­ge­ver­eins, ist Hil­de­gards Leis­tung nicht hoch genug ein­zu­schät­zen: „Ich habe in fast 40 Jah­ren in die­sem Beruf noch keine ver­gleich­bare Fami­lie ken­nen­ge­lernt. So eine inten­sive und lie­be­volle Pflege ist ein­zig­ar­tig.“ In all der Zeit habe er sich zuhause kein ein­zi­ges Mal wund­ge­le­gen, das spre­che ein­deu­tig für sie. Die Reiths konn­ten keine eige­nen Kin­der haben, der Kon­takt zu den Mit­ar­bei­te­rin­nen des Kran­ken­pfle­ge­ver­eins ist sehr eng. Bri­gitte hat fast die Rolle einer Ersatztochter.

Aufruf

Wer möchte mit Peter spa­zie­ren gehen?
Peter hat einen Vor­satz für 2018: öfter an die fri­sche Luft. Der Umgang mit sei­nem Roll­stuhl ist unkom­pli­ziert, Peter ist es ohne­hin. Inter­es­sen­ten mel­den sich beim Kran­ken­pfle­ge­ver­ein Alt­ach: 0699/11818387 oder per E‑Mail an krankenpflegeverein.altach@altach.at.

Gemein­same Inter­es­sen damals und heute

Viel Zeit für sich selbst hat Hil­de­gard nicht: Wenn Peter sein Mit­tags­schläf­chen hält, fährt sie mit dem Auto zum Super­markt oder zur Apo­theke. „Ich mache mir nicht viel Gedan­ken und nehme die Situa­tion ein­fach, wie sie ist. Ich bin nicht unglück­lich: Wir haben ein schö­nes Haus, im Som­mer gehe ich gerne vor die Tür.“ Ihre posi­tive Hal­tung hat sie sich sogar erhal­ten, als sie im Früh­jahr selbst mit einem Ober­schen­kel­hals­bruch ins Kran­ken­haus musste.

Da wurde seine Betreu­ung kom­pli­zier­ter und nicht zuletzt deut­lich teu­rer. Wo andere längst ver­zwei­felt wären, ist sie immer prag­ma­tisch und, wich­ti­ger noch, ihrem Mann zuge­wandt geblie­ben. Acht­sam­keit, die Fähig­keit, sich nur auf den Moment zu kon­zen­trie­ren, ist der­zeit ein gro­ßes Thema. Hil­de­gard hat diese Hal­tung ver­in­ner­licht – ohne je einen Kurs besucht zu haben. Eher könnte sie selbst ihr Wis­sen wei­ter­ge­ben. In ande­ren Berei­chen tut sie dies. Beim Kochen, Backen und nicht zuletzt bei der Spra­che gibt sie Pfle­ge­rin Elena viele Tipps. Die Rumä­nin ist dafür dank­bar: „Sie ist eine gute Lehrerin.“

Auch Peter hadert nicht. Auf die Frage, ob ihm das Wan­dern fehle, deu­tet er ohne jede Bit­ter­keit aus dem Fens­ter: „Da sehe ich doch einige Gip­fel. Außer­dem bleibe ich lie­ber bei mei­nem Weibi.“ Schmun­zeln. Schon vor dem Unfall mach­ten die bei­den fast alles zusam­men, küm­mer­ten sich bei­spiels­weise um den Gar­ten, gin­gen ins nah­ge­le­gene Schwimm­bad oder mach­ten Aus­flüge mit dem Fahr­rad. Heute schauen sie gerne fern: Nach­rich­ten, Uni­ver­sum, die Mil­lio­nen­show. Hil­de­gards Favo­rit sind Tier­filme. Sie haben einen eige­nen Kater. Doch Jackie ist schüch­tern und lässt sich heute nicht bli­cken. Hil­de­gard mag Bas­tel­ar­bei­ten, der­zeit macht sie Kränze und Gestecke.

Hilfe vor Ort

Anfangs, direkt nach dem Unfall, kamen viele Leute aus Neu­gier. Über die Jahre ist das aber immer weni­ger gewor­den“, erzählt Hil­de­gard. Bri­gitte nickt nach­denk­lich – diese Ent­wick­lung kennt sie von vie­len Pati­en­ten. Zum Glück haben die Reiths über die Pfle­ge­rin­nen hin­aus einige Men­schen, auf die sie sich ver­las­sen kön­nen. Nach­bar Hel­mut Rojak hilft, wann und wo immer er kann: sei es beim Zuschnei­den des Christ­bau­mes oder sogar wenn es darum geht, Peter zu duschen oder ins Bett zu legen. Der Ret­tungs­dienst bringt ihn zwei­mal pro Woche zur Phy­sio­the­ra­pie, der Ver­ein „zem­ma­hALTA“ unter­stützt die bei­den z. B. bei Arzt­be­su­chen oder beim Schnee­schau­feln. Hil­de­gard ist mit sich völ­lig im Rei­nen. Was sie am meis­ten seit dem Unfall in ihrem Leben ver­misst? „Gar nichts, ich habe doch noch ihn.“

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