Mit 90 zurück ins pralle Leben
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Bis zum Sommer 2017 lebten Resi und Felix Pachner im vierten Stock eines Hauses ohne Aufzug. Seit dem Umzug ins Sozialzentrum Bürs sind sie endlich wieder unter Leuten. Er macht sogar wieder Ausflüge auf den Muttersberg.
Den Humor hat Felix Pachner noch lange nicht verloren. Als Reporter und Filmteam in der kleinen, aber großzügig geschnittenen Wohnung im Sozialzentrum Bürs eintreffen, fallen schnell die Sauerstoffgeräte der Eheleute ins Auge. „Wir müssen selbst aufpassen, dass wir nicht über die Schläuche stolpern“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Im August, wenige Wochen nach dem Umzug, feierte der langjährige Gemeindesekretär seinen 90. Geburtstag. Ein typischer Löwe sei er eben: „stark und klein“. Wieder blitzen seine Augen. Das war eine Feier ganz nach seinem Geschmack: Nicht nur der amtierende Bürgermeister Georg Bucher, auch seine Vorgänger – Felix’ ehemalige Chefs Willi Plangg und Helmut Zimmermann – gratulierten. Dazu gab es ein Ständchen der Harmoniemusik Bürs. „So etwas habe ich schon viele Jahre nicht mehr erlebt“, denkt er gerne an seinen großen Tag zurück.
Im Heimatort alt werden
Resi (87) und Felix Pachner haben ein neues Zuhause gefunden. Ein neues Leben, und das in jenem Ort, in dem sie gemeinsam seit ihrer Hochzeit im Jahr 1951 wohnen. Felix ist in Bludenz zur Welt gekommen und in Bürs aufgewachsen. Resi stammt aus Gaschurn. Kennengelernt haben sich die beiden 1947 auf dem Bürser Meldeamt. An die schweißtreibenden Fahrten auf dem Fahrrad zu ihr ins Montafon erinnert sich Felix noch deutlich. „Das war Liebe – und das ist es bis heute“, sagt Resi und lächelt ihren Mann an.
Die gelernte Weberin arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg als Dienstmädchen und führte später halbtags ein Wäschegeschäft. Sie engagierte sich auch politisch in der Gemeindevertretung, „bei den Sozialisten“, wie sie sagt. Im Jahr 2008 reiste sie mit einer Gruppe nach Wien, wo sie der damalige Bundespräsident Heinz Fischer empfing. Auf das Foto mit ihm ist sie heute noch stolz. Es hat einen Ehrenplatz im Wohnzimmer über dem Sofa. Gegenüber liegt eine gemütliche Essecke mit einem frischen Strauß Blumen auf dem Tisch. Gegen acht Uhr frühstücken die beiden hier. Diesen Luxus des einzigen Ehepaar-Zimmers genießen die beiden sehr. Die übrigen 21 Bewohner sind in Einzelzimmern untergebracht.
Info
Beim betreuten Wohnen im Alter gibt es in Vorarlberg eine große Vielfalt von Angeboten. Zahlreiche Gemeinden unterstützen die alten Menschen, die individuell passende Balance aus Autonomie und Pflege zu finden. Infos unter der Landes-Telefonnummer 05574/511–24190 und per E‑Mail an pflege@vorarlberg.at.
Raus aus der Isolation
Als Felix 1987 in Pension ging, nahm er das Bürser Gemeinde-Verdienstzeichen als Abschiedsgeschenk mit. Nicht nur im Büro, auch in vielen Vereinen setzte er sich ein. Von langen Sitzungen im Ski- und Eisstockschützenverein oder bei der Feuerwehr kann er lebhaft erzählen. „Du warst viele Abende unterwegs“, lautet ihr leichter Seitenhieb zu diesem Thema.
Vor zwanzig Jahren hatte er einen Herzinfarkt und leidet seitdem an Herzinsuffizienz. Beide sind Diabetiker. Ihre Eigentumswohnung im vierten Stock hatte sie schon lange nicht mehr allein verlassen können. Auch für ihn waren die täglichen Wege, beispielsweise zum Zeitung holen, immer beschwerlicher geworden: „Ich bin kaum mehr die Treppen hochgekommen.“ Ebenso ging es gleichaltrigen Freunden, die daher immer seltener zu Besuch kamen. Schon lange hatten sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des örtlichen Krankenpflegevereins um die Pachners gekümmert. Im Sommer fiel dann, in Absprache mit ihren drei Kindern, die Entscheidung für das Sozialzentrum Bürs.
Geglückter Neuanfang
Zu dieser Zeit holte sich Resi eine Lungenentzündung. „Um ehrlich zu sein, habe ich kaum damit gerechnet, dass sie das überlebt. Zum Glück hat sie eine eiserne Natur“, sagt Felix. An den berührenden Moment, als sie aus dem Spital ins Sozialzentrum kam, erinnert sich auch Heimleiter Wolfgang Purtscher: „Sie nahm ihren Felix fest in den Arm und sagte, dass er die Wohnung heute besonders schön für sie hergerichtet habe und dass der Umzug der richtige Schritt gewesen sei.“ Auch in Bürs trägt ein solches Heim bei vielen Leuten ein Stigma. „‚Armenhaus’ haben wir es früher genannt“, weiß Felix. Und obwohl Resi die Einrichtung aus eigener Erfahrung als ehrenamtliche Helferin kannte, sagte sie früher kategorisch: „Ins Altersheim gehe ich nicht.“ Doch das ist lange her.
Heute sind die Eheleute spürbar dankbar für ihre Situation und ihre Chance auf einen Neuanfang. In der Adventszeit strickte Resi für das gesamte Team des Sozialzentrums die schönsten Wollsocken. Und auf die Frage nach seinen neuen Freiheiten kommt Felix aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus: „Endlich können wir wieder Besuch empfangen und auch Ausflüge machen, einfach herrlich!“ So kommt er wieder einmal auf den Muttersberg und zum Lünersee, wo er früher so gerne angelte. Die Kombination aus Selbstbestimmung einerseits und den umfassenden Pflegemöglichkeiten vor Ort andererseits schätzen die beiden sehr. In Resis Worten: „Unser Leben hat neu begonnen.“
Entlastung für die Familie
Mit seinem mobilen Sauerstoffgerät und dem Rollator macht Felix sich gerne auf den kurzen Weg zum „Stutz“, dem örtlichen Nahversorger. Durch die ruhige und doch zentrale Lage des Sozialzentrums kann er auch die Bank und das Gemeindeamt gut zu Fuß erreichen. Von vielen Dingen und Gewohnheiten mussten sich die beiden trennen, sich an den anderen Rhythmus, die neue Umgebung im Sozialzentrum erst gewöhnen. In 66 Jahren Ehe hatte sich zuhause „viel Glump“ (Zitat Felix) angesammelt, das nicht mit umziehen konnte: Unterlagen, Bilder, Geschirr, Kleidung etc. Doch das Aussortieren und der Aufwand haben sich gelohnt; nicht nur für die beiden selbst. „Jetzt haben auch unsere Kinder wieder Ruhe und müssen sich keine Sorge machen, wenn es uns einmal schlechter geht. Das ist für sie ebenso eine große Erleichterung“, erzählt Felix.