Anregende Gemeinschaft
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Im Andelsbucher Haus „Miteinander Füreinander“ kommen Generationen zusammen. Eine besondere Bereicherung für den Alltag der alten Leute ist die Tagesbetreuung.
Der Versuch hat sich für Theresia Pfanner gelohnt. „Meine Freundin Lisa hat mir von der Tagesbetreuung erzählt und empfohlen, auch mal mitzukommen“, erzählt die 87-Jährige. Heute ist sie zum zweiten Mal dabei, ihr Eindruck ist positiv: „Wir haben es schon fein hier.“ Das Programm steht unter dem Motto „Genuss, Geist und Körper“. Zu den Inhalten zählen unter anderem Spaziergänge, die Pflege der Hochbeete im Garten und Gedächtnistraining. Die luftige Holz-Architektur und die stilvolle Einrichtung des im April eröffneten Hauses sorgen zusätzlich für Wohlbefinden.
Zusammen mit fünf Damen sitzt Theresia Pfanner im großen, hellen Gemeinschaftsraum mit Blick ins Grüne und auf die Hangspitze. Es ist kurz nach 14 Uhr. Zum Start in den Nachmittag gibt es Bewegungsspiele. Irene Kleber, die in Andelsbuch Tagesbetreuung und Mobilen Hilfsdienst koordiniert, bringt ein schmales langes Tuch mit in die Gruppe, das alle festhalten. Dann geht es los: Die Frauen führen das Tuch über den Kopf und wieder hinunter, strecken die Arme nach vorne und bewegen die Finger dazu, schließen und öffnen die Hände. Danach lockern sie ihre Schultern, bewegen den Kopf sanft zur einen und zur anderen Seite und schütteln zum Schluss ihre Füße aus.
Gesellschaft
Es ist schwül an diesem Sommertag, 28 Grad im Schatten. „Immer etwas trinken“, rät Irene Kleber ihren Gästen. „Gute Idee, wie wäre es mit Schnaps?“, gibt Katharina Schneider lachend zurück. Die 79 Jahre alte Andelsbucherin stellt sich dem Reporter passenderweise als „die mit dem großen Schnabel“ vor. Sie komme nach ihrem Vater, sagt sie, der sei ein „Spitzbub“ gewesen: „Den Humor habe ich von ihm. Das ist gut so, sonst wird es doch langweilig.“ Sie ist froh über den Austausch mit den anderen. Denn sie kennt auch die einsamen Stunden. Zuhause lebt sie allein mit ihrem Kater Bobby: „Es ist wichtig, ein Tier zum Reden zu haben. Das Leben ist schön – aber es ist auch hart.“
Natürlich
Der Verein Mobiler Betreuungsdienst hat das Erdgeschoss des neuen Hauses von der Gemeinde gemietet. Dreimal pro Woche, jeweils von 9 bis 17 Uhr, bietet er die Möglichkeit, „einen Alltag zu gestalten, dessen Erfahrung zuhause nicht möglich ist“, wie es auf der Homepage heißt. Das Angebot wird hauptsächlich, aber nicht nur von alten Menschen genutzt. „Die meisten sind zwischen 75 und 90 Jahre alt“, berichtet Irene Kleber, „es kommen aber auch jüngere.“ Roman Barbisch (26) zählt dazu. Der Down-Syndrom-Patient lebt in der betreuten Wohngemeinschaft ein Stockwerk höher. Dienstagnachmittags, nach seiner Schicht im Supermarkt, ist er dabei. Heute war er nur kurz zum Mittagessen da. Drei hauseigene Köchinnen versorgen außerdem Schüler sowie den „Essen auf Rädern“-Service der Gemeinde.
„Wir begleiten die Natur“, erklärt Kleber das Konzept der Tagesbetreuung. „Vor einigen Tagen haben wir zum Beispiel den reifen Lavendel getrocknet.“ Seit acht Jahren arbeitet die ausgebildete Kleinkinderzieherin aus dem schweizerischen Pfäffikon mit alten Menschen. In Andelsbuch wird sie von zwei Heimhelferinnen sowie zeitweise einer Praktikantin unterstützt. Über die ganze Woche verteilt kommen rund ein Dutzend Tagesgäste. Für die Mittagspause, die nun vorbei ist, steht ein Ruheraum bereit. Heute brauchte es zwei zusätzliche Betten: Kein Problem, schnell wurde der Gemeinschaftsraum dank einer Trennwand zum Teil-Schlafsaal umfunktioniert.
Gemeinsame Auszeit
Annele Egender schläft hier ausgezeichnet. Die Bersbucherin, der man ihre 79 Jahre nicht ansieht, kommt gerne her. „Das ganze Drum und Dran mit allen Frauen gefällt mir gut. Ich treffe Leute, die ich sonst nie treffe, und rede mit ihnen von alten Zeiten. Hier kann ich das machen, was ich möchte. Zuhause gibt es dagegen so viel im Haushalt zu tun, zum Beispiel Kochen und Putzen“, sagt sie mit einem Lächeln. Sie fühle sich in der Tagesbetreuung schon „dahoam“.
„Miteinander Füreinander“ – der Name des Hauses wird mit Leben erfüllt. Zum einen sind Kleber und Heimhelferin Monika Szatmari für die Tagesgäste da, bieten ihnen Anregungen und Unterstützung, beispielsweise beim Gang auf die Toilette. Zum anderen helfen sich die Damen an diesem Nachmittag gegenseitig, etwa beim gemeinsamen Vorbereiten des Obstsalates, den sie mit Vanilleeis und einer Tasse Kaffee zu sich nehmen.
Tagesbetreuung
37 Einrichtungen für die Tagesbetreuung von Pflegebedürftigen gibt es derzeit in allen Regionen des Landes. Sie bieten alten Menschen eine abwechslungsreiche Tagesstruktur in der Gemeinschaft, mit aktivierenden Angeboten für Körper und Geist. Die Tagesbetreuung ergänzt die Pflege zuhause und entlastet vor allem pflegende Angehörige.
Lebensfreude
Deutlich mehr Frauen als Männer besuchen die Tagesbetreuung. Woran liegt das? „Ich vermute, dass Herren in diesem Alter größere Hemmungen haben. Die Damen genießen solche Treffen, die früher für sie schwieriger waren“, sagt Szatmari. An diesem Nachmittag geht es mit gemeinsamem Musizieren weiter – ein Punkt, auf den sich Theresia Pfanner schon gefreut hat. 40 Jahre lang war sie Mitglied im Kirchenchor. Heute stimmt sie das Wälderbähnle-Lied an, eine Strophe nach der anderen fällt den Sängerinnen ein. Kurz darauf gibt es noch eine besondere Zugabe: Der kleine Finn aus dem Nachbarhaus feiert an diesem Tag seinen ersten Geburtstag und geht mit etwas wackligen, aber geradlinigen Schritten durch den Garten zu den alten Leuten. Seine Eltern folgen ihm mit einem großen Teller Kuchen, die Gruppe revanchiert sich mit einem lautstark vorgetragenen „Happy Birthday“. Auch diese Szene zeigt: Diese Frauen stehen mitten im Leben.
Anregende Gemeinschaft
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Im Andelsbucher Haus „Miteinander Füreinander“ kommen Generationen zusammen. Eine besondere Bereicherung für den Alltag der alten Leute ist die Tagesbetreuung.
Der Versuch hat sich für Theresia Pfanner gelohnt. „Meine Freundin Lisa hat mir von der Tagesbetreuung erzählt und empfohlen, auch mal mitzukommen“, erzählt die 87-Jährige. Heute ist sie zum zweiten Mal dabei, ihr Eindruck ist positiv: „Wir haben es schon fein hier.“ Das Programm steht unter dem Motto „Genuss, Geist und Körper“. Zu den Inhalten zählen unter anderem Spaziergänge, die Pflege der Hochbeete im Garten und Gedächtnistraining. Die luftige Holz-Architektur und die stilvolle Einrichtung des im April eröffneten Hauses sorgen zusätzlich für Wohlbefinden.
Zusammen mit fünf Damen sitzt Theresia Pfanner im großen, hellen Gemeinschaftsraum mit Blick ins Grüne und auf die Hangspitze. Es ist kurz nach 14 Uhr. Zum Start in den Nachmittag gibt es Bewegungsspiele. Irene Kleber, die in Andelsbuch Tagesbetreuung und Mobilen Hilfsdienst koordiniert, bringt ein schmales langes Tuch mit in die Gruppe, das alle festhalten. Dann geht es los: Die Frauen führen das Tuch über den Kopf und wieder hinunter, strecken die Arme nach vorne und bewegen die Finger dazu, schließen und öffnen die Hände. Danach lockern sie ihre Schultern, bewegen den Kopf sanft zur einen und zur anderen Seite und schütteln zum Schluss ihre Füße aus.
Gesellschaft
Es ist schwül an diesem Sommertag, 28 Grad im Schatten. „Immer etwas trinken“, rät Irene Kleber ihren Gästen. „Gute Idee, wie wäre es mit Schnaps?“, gibt Katharina Schneider lachend zurück. Die 79 Jahre alte Andelsbucherin stellt sich dem Reporter passenderweise als „die mit dem großen Schnabel“ vor. Sie komme nach ihrem Vater, sagt sie, der sei ein „Spitzbub“ gewesen: „Den Humor habe ich von ihm. Das ist gut so, sonst wird es doch langweilig.“ Sie ist froh über den Austausch mit den anderen. Denn sie kennt auch die einsamen Stunden. Zuhause lebt sie allein mit ihrem Kater Bobby: „Es ist wichtig, ein Tier zum Reden zu haben. Das Leben ist schön – aber es ist auch hart.“
Natürlich
Der Verein Mobiler Betreuungsdienst hat das Erdgeschoss des neuen Hauses von der Gemeinde gemietet. Dreimal pro Woche, jeweils von 9 bis 17 Uhr, bietet er die Möglichkeit, „einen Alltag zu gestalten, dessen Erfahrung zuhause nicht möglich ist“, wie es auf der Homepage heißt. Das Angebot wird hauptsächlich, aber nicht nur von alten Menschen genutzt. „Die meisten sind zwischen 75 und 90 Jahre alt“, berichtet Irene Kleber, „es kommen aber auch jüngere.“ Roman Barbisch (26) zählt dazu. Der Down-Syndrom-Patient lebt in der betreuten Wohngemeinschaft ein Stockwerk höher. Dienstagnachmittags, nach seiner Schicht im Supermarkt, ist er dabei. Heute war er nur kurz zum Mittagessen da. Drei hauseigene Köchinnen versorgen außerdem Schüler sowie den „Essen auf Rädern“-Service der Gemeinde.
„Wir begleiten die Natur“, erklärt Kleber das Konzept der Tagesbetreuung. „Vor einigen Tagen haben wir zum Beispiel den reifen Lavendel getrocknet.“ Seit acht Jahren arbeitet die ausgebildete Kleinkinderzieherin aus dem schweizerischen Pfäffikon mit alten Menschen. In Andelsbuch wird sie von zwei Heimhelferinnen sowie zeitweise einer Praktikantin unterstützt. Über die ganze Woche verteilt kommen rund ein Dutzend Tagesgäste. Für die Mittagspause, die nun vorbei ist, steht ein Ruheraum bereit. Heute brauchte es zwei zusätzliche Betten: Kein Problem, schnell wurde der Gemeinschaftsraum dank einer Trennwand zum Teil-Schlafsaal umfunktioniert.
Tagesbetreuung
37 Einrichtungen für die Tagesbetreuung von Pflegebedürftigen gibt es derzeit in allen Regionen des Landes. Sie bieten alten Menschen eine abwechslungsreiche Tagesstruktur in der Gemeinschaft, mit aktivierenden Angeboten für Körper und Geist. Die Tagesbetreuung ergänzt die Pflege zuhause und entlastet vor allem pflegende Angehörige.
Gemeinsame Auszeit
Annele Egender schläft hier ausgezeichnet. Die Bersbucherin, der man ihre 79 Jahre nicht ansieht, kommt gerne her. „Das ganze Drum und Dran mit allen Frauen gefällt mir gut. Ich treffe Leute, die ich sonst nie treffe, und rede mit ihnen von alten Zeiten. Hier kann ich das machen, was ich möchte. Zuhause gibt es dagegen so viel im Haushalt zu tun, zum Beispiel Kochen und Putzen“, sagt sie mit einem Lächeln. Sie fühle sich in der Tagesbetreuung schon „dahoam“.
„Miteinander Füreinander“ – der Name des Hauses wird mit Leben erfüllt. Zum einen sind Kleber und Heimhelferin Monika Szatmari für die Tagesgäste da, bieten ihnen Anregungen und Unterstützung, beispielsweise beim Gang auf die Toilette. Zum anderen helfen sich die Damen an diesem Nachmittag gegenseitig, etwa beim gemeinsamen Vorbereiten des Obstsalates, den sie mit Vanilleeis und einer Tasse Kaffee zu sich nehmen.
Lebensfreude
Deutlich mehr Frauen als Männer besuchen die Tagesbetreuung. Woran liegt das? „Ich vermute, dass Herren in diesem Alter größere Hemmungen haben. Die Damen genießen solche Treffen, die früher für sie schwieriger waren“, sagt Szatmari. An diesem Nachmittag geht es mit gemeinsamem Musizieren weiter – ein Punkt, auf den sich Theresia Pfanner schon gefreut hat. 40 Jahre lang war sie Mitglied im Kirchenchor. Heute stimmt sie das Wälderbähnle-Lied an, eine Strophe nach der anderen fällt den Sängerinnen ein. Kurz darauf gibt es noch eine besondere Zugabe: Der kleine Finn aus dem Nachbarhaus feiert an diesem Tag seinen ersten Geburtstag und geht mit etwas wackligen, aber geradlinigen Schritten durch den Garten zu den alten Leuten. Seine Eltern folgen ihm mit einem großen Teller Kuchen, die Gruppe revanchiert sich mit einem lautstark vorgetragenen „Happy Birthday“. Auch diese Szene zeigt: Diese Frauen stehen mitten im Leben.