Ein alter Kämpfer
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Erich Joven (71) aus Schruns hat vielen Menschen geholfen. Heute ist er selbst auf Hilfe angewiesen. Seit dem Herzinfarkt seiner Frau unterstützt auch der Krankenpflegeverein Außermontafon die Familie.
„Nebenan haben zwei alte Frauen gewohnt, die ins Altersheim sollten. Das musste doch nicht sein. Da bin ich eingesprungen und habe den beiden geholfen, zum Beispiel beim Kochen und Waschen“, erzählt Erich Joven. Aus der spontanen Nachbarschaftshilfe wurden zwölf Jahre Pflege. „Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht“, sagt er. Seine Tochter habe recht, wenn sie ihm das Helfersyndrom attestiere. Auf sich selbst hat er früher weniger geschaut.
In seiner Kärntner Heimat Altendorf hatte er eine Lehre in drei verschiedenen Bäckereien absolviert, bevor er 1964 nach Vorarlberg übersiedelte. In Tschagguns lernte er Monika kennen, die nebenan eine Gastronomie-Lehre absolvierte. Drei Jahre später feierten die beiden Hochzeit. Später wechselte er in eine andere Bäckerei nach Schruns, um dort 18 Jahre lang den Betrieb zu führen. „Das war mein Untergang“, ist ihm heute klar. Er leistete unzählige Überstunden, bis irgendwann der Körper streikte: Kreislaufkollaps, Herzprobleme. Er ging in Frührente – und das mit nur 45 Jahren. „Aus meiner Sicht hatte er damals ein Burnout“, sagt seine Frau bitter.
Wertvolle Erfahrung
Was nun? Nur die Hände in den Schoß zu legen, kam für den geselligen Mann nicht infrage. Er entdeckte die Freude daran, sich um andere zu kümmern. Nachdem er seine beiden Nachbarinnen zwölf Jahre lang unterstützt hatte, kümmerte er sich – völlig unentgeltlich – um einen demenzkranken Herrn und eine andere Dame, mit der er zunächst viel im Montafon wandern ging.
Als sie ins Pflegeheim kam, blieb er bis zum Schluss an ihrer Seite. Er wollte sich bewusst dem Tabuthema Tod stellen. „Noch nie habe ich eine solche Ruhe gespürt wie in dem Moment, als sie eingeschlafen ist“, sagt er. „Das war nicht schön, aber dennoch eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Sie ist auf die andere Seite gegangen. Wir sind hier geblieben.“ Die Bestattung und die Auflösung ihres Haushalts organisierte er auch. Wenn er von der alten Dame spricht, ist Erich Joven mit ganzem Herzen dabei. Er redet lieber über andere als über sich selbst.
Individuelle Unterstützung
Für die Betreuung und Pflege von Menschen zuhause gibt es in Vorarlberg vielfältige Angebote: Mobile Hilfsdienste, Krankenpflegevereine, Tagesbetreuung bis hin zur 24-Stunden-Betreuung. Case Managerinnen und Manager beraten die Betroffenen und ihre Angehörigen. Sie organisieren die bestmögliche Unterstützung je nach individuellem Bedarf.
Zielstrebig
2015 verschlechterte sich sein Zustand. Im Juli bekam er einen Hirnschlag. Vier Mal musste seine Schädeldecke geöffnet werden. Heute noch ist der künstliche Knochen an seinem Hinterkopf deutlich spürbar. „Du bist ein Phänomen. Das ist ein Wunder, dass Du noch lebst“, hätten ihm die Ärzte damals gesagt. Nach den Operationen trat etwas Hirnwasser aus, ein Wassersack bildete sich an seiner Narbe. „Ich bin nicht ganz dicht“, sagt Erich lachend. Zum Glück schloss sich das Leck bald wieder, heute ist das Problem behoben. Geblieben sind ihm Taubheitsgefühle am ganzen Kopf und gelegentliche Schwindelattacken. Mit seinem Rollator kann er sich allein fortbewegen und mit seiner Frau Monika langsam spazieren gehen, was sie fast täglich tun. Jassen mag er sehr, jeden Dienstag holen ihn Bekannte zum gemeinsamen Spielen ab.
Unter dem Tisch der Holzstube schnarcht der 16 Jahre alte Hund Rocky – trotz des Namens kein Boxer, sondern ein Mischling. Aus Erichs Sicht jedenfalls „ein alter Kämpfer“. Diese Charakterisierung trifft auch auf ihn selbst zu. Wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, arbeitet er zielstrebig darauf hin. Nach seinem Hirnschlag fing er während der Reha an, Solitaire zu spielen. Ein langwieriges Training für den Kopf und die Feinmotorik, doch er blieb hartnäckig. „Heute kann ich´s“, sagt er stolz und holt zur Demonstration das Spielbrett hervor. „Der Turm von Hanoi“, ein anderes Spiel, das Fingerfertigkeit erfordert, hat er sich ebenso beigebracht. Bei anderen Dingen nutzt leider aller Kampfgeist nichts: „Das Gleichgewicht kommt bei mir nimmer“, weiß er. Der Schaden an seinem Kleinhirn ist irreparabel. Ebenso ist ein Stimmband bei seinem Hirnschlag unwiederbringlich kaputtgegangen. Sein geliebtes Hobby Singen hat er aufgeben müssen.
Ein alter Kämpfer
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Erich Joven (71) aus Schruns hat vielen Menschen geholfen. Heute ist er selbst auf Hilfe angewiesen. Seit dem Herzinfarkt seiner Frau unterstützt auch der Krankenpflegeverein Außermontafon die Familie.
„Nebenan haben zwei alte Frauen gewohnt, die ins Altersheim sollten. Das musste doch nicht sein. Da bin ich eingesprungen und habe den beiden geholfen, zum Beispiel beim Kochen und Waschen“, erzählt Erich Joven. Aus der spontanen Nachbarschaftshilfe wurden zwölf Jahre Pflege. „Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht“, sagt er. Seine Tochter habe recht, wenn sie ihm das Helfersyndrom attestiere. Auf sich selbst hat er früher weniger geschaut.
In seiner Kärntner Heimat Altendorf hatte er eine Lehre in drei verschiedenen Bäckereien absolviert, bevor er 1964 nach Vorarlberg übersiedelte. In Tschagguns lernte er Monika kennen, die nebenan eine Gastronomie-Lehre absolvierte. Drei Jahre später feierten die beiden Hochzeit. Später wechselte er in eine andere Bäckerei nach Schruns, um dort 18 Jahre lang den Betrieb zu führen. „Das war mein Untergang“, ist ihm heute klar. Er leistete unzählige Überstunden, bis irgendwann der Körper streikte: Kreislaufkollaps, Herzprobleme. Er ging in Frührente – und das mit nur 45 Jahren. „Aus meiner Sicht hatte er damals ein Burnout“, sagt seine Frau bitter.
Wertvolle Erfahrung
Was nun? Nur die Hände in den Schoß zu legen, kam für den geselligen Mann nicht infrage. Er entdeckte die Freude daran, sich um andere zu kümmern. Nachdem er seine beiden Nachbarinnen zwölf Jahre lang unterstützt hatte, kümmerte er sich – völlig unentgeltlich – um einen demenzkranken Herrn und eine andere Dame, mit der er zunächst viel im Montafon wandern ging.
Als sie ins Pflegeheim kam, blieb er bis zum Schluss an ihrer Seite. Er wollte sich bewusst dem Tabuthema Tod stellen. „Noch nie habe ich eine solche Ruhe gespürt wie in dem Moment, als sie eingeschlafen ist“, sagt er. „Das war nicht schön, aber dennoch eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Sie ist auf die andere Seite gegangen. Wir sind hier geblieben.“ Die Bestattung und die Auflösung ihres Haushalts organisierte er auch. Wenn er von der alten Dame spricht, ist Erich Joven mit ganzem Herzen dabei. Er redet lieber über andere als über sich selbst.
Individuelle Unterstützung
Für die Betreuung und Pflege von Menschen zuhause gibt es in Vorarlberg vielfältige Angebote: Mobile Hilfsdienste, Krankenpflegevereine, Tagesbetreuung bis hin zur 24-Stunden-Betreuung. Case Managerinnen und Manager beraten die Betroffenen und ihre Angehörigen. Sie organisieren die bestmögliche Unterstützung je nach individuellem Bedarf.
Zielstrebig
2015 verschlechterte sich sein Zustand. Im Juli bekam er einen Hirnschlag. Vier Mal musste seine Schädeldecke geöffnet werden. Heute noch ist der künstliche Knochen an seinem Hinterkopf deutlich spürbar. „Du bist ein Phänomen. Das ist ein Wunder, dass Du noch lebst“, hätten ihm die Ärzte damals gesagt. Nach den Operationen trat etwas Hirnwasser aus, ein Wassersack bildete sich an seiner Narbe. „Ich bin nicht ganz dicht“, sagt Erich lachend. Zum Glück schloss sich das Leck bald wieder, heute ist das Problem behoben. Geblieben sind ihm Taubheitsgefühle am ganzen Kopf und gelegentliche Schwindelattacken. Mit seinem Rollator kann er sich allein fortbewegen und mit seiner Frau Monika langsam spazieren gehen, was sie fast täglich tun. Jassen mag er sehr, jeden Dienstag holen ihn Bekannte zum gemeinsamen Spielen ab.
Unter dem Tisch der Holzstube schnarcht der 16 Jahre alte Hund Rocky – trotz des Namens kein Boxer, sondern ein Mischling. Aus Erichs Sicht jedenfalls „ein alter Kämpfer“. Diese Charakterisierung trifft auch auf ihn selbst zu. Wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, arbeitet er zielstrebig darauf hin. Nach seinem Hirnschlag fing er während der Reha an, Solitaire zu spielen. Ein langwieriges Training für den Kopf und die Feinmotorik, doch er blieb hartnäckig. „Heute kann ich´s“, sagt er stolz und holt zur Demonstration das Spielbrett hervor. „Der Turm von Hanoi“, ein anderes Spiel, das Fingerfertigkeit erfordert, hat er sich ebenso beigebracht. Bei anderen Dingen nutzt leider aller Kampfgeist nichts: „Das Gleichgewicht kommt bei mir nimmer“, weiß er. Der Schaden an seinem Kleinhirn ist irreparabel. Ebenso ist ein Stimmband bei seinem Hirnschlag unwiederbringlich kaputtgegangen. Sein geliebtes Hobby Singen hat er aufgeben müssen.
Unterstützung durch die Familie
Früher vermieteten die Jovens eine Ferienwohnung in ihrem Haus. Heute lebt ein Enkel dort, der die Großeltern unterstützt. Der Rollenwechsel vom Helfer zum Hilfsbedürftigen ist für Erich nicht einfach. „Wenn es geschneit hat und er nicht mehr wie früher die Schneefräse bedienen kann, ist er unausstehlich“, sagt Monika. Bis zu ihrem eigenen Herzinfarkt im Vorjahr war sie allein für seine Pflege verantwortlich. Dazu zählt sie, neben Dingen wie Kochen und Salben auftragen, auch die Fähigkeit, seine Nervenschmerzen auszuhalten, die ihn immer wieder plagen. „Ich musste alles neu lernen, zum Beispiel auch, aufs Klo zu gehen. Manchmal geht es allein und manchmal nicht“, sagt Erich.
Seit ihrem Herzinfarkt kommt einmal pro Woche Irmtraud Seebacher oder eine ihrer Kolleginnen vom Krankenpflegeverein Außermontafon, um ihn zu duschen. Während Monikas eigener Reha kam eine 24-Stunden-Betreuerin ins Haus. Immer wieder besucht er auch die SMO in Bürs; ein Zentrum für neurologische Rehabilitation, das er als „Tages-Reha“ (Zitat Monika) nutzen kann. Ein Angebot, das ihm sehr guttut. Gleiches gilt für die Montagnachmittage im Haus Montafon. Dort organisiert der Mobile Hilfsdienst Außermontafon Veranstaltungen für ältere und kranke Menschen. Auch für Monika ist dieser Fixtermin wichtig: Dann hat sie einmal Zeit für sich. „Allein wäre ich komplett aufgeschmissen“, weiß Erich. Zum Glück ist er nicht allein.
Unterstützung durch die Familie
Früher vermieteten die Jovens eine Ferienwohnung in ihrem Haus. Heute lebt ein Enkel dort, der die Großeltern unterstützt. Der Rollenwechsel vom Helfer zum Hilfsbedürftigen ist für Erich nicht einfach. „Wenn es geschneit hat und er nicht mehr wie früher die Schneefräse bedienen kann, ist er unausstehlich“, sagt Monika. Bis zu ihrem eigenen Herzinfarkt im Vorjahr war sie allein für seine Pflege verantwortlich. Dazu zählt sie, neben Dingen wie Kochen und Salben auftragen, auch die Fähigkeit, seine Nervenschmerzen auszuhalten, die ihn immer wieder plagen. „Ich musste alles neu lernen, zum Beispiel auch, aufs Klo zu gehen. Manchmal geht es allein und manchmal nicht“, sagt Erich.
Seit ihrem Herzinfarkt kommt einmal pro Woche Irmtraud Seebacher oder eine ihrer Kolleginnen vom Krankenpflegeverein Außermontafon, um ihn zu duschen. Während Monikas eigener Reha kam eine 24-Stunden-Betreuerin ins Haus. Immer wieder besucht er auch die SMO in Bürs; ein Zentrum für neurologische Rehabilitation, das er als „Tages-Reha“ (Zitat Monika) nutzen kann. Ein Angebot, das ihm sehr guttut. Gleiches gilt für die Montagnachmittage im Haus Montafon. Dort organisiert der Mobile Hilfsdienst Außermontafon Veranstaltungen für ältere und kranke Menschen. Auch für Monika ist dieser Fixtermin wichtig: Dann hat sie einmal Zeit für sich. „Allein wäre ich komplett aufgeschmissen“, weiß Erich. Zum Glück ist er nicht allein.