Ein gutes Gefühl
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Rund um die Uhr kümmern sich abwechselnd zwei rumänische Betreuerinnen um Elvira Sinz (82). Das Zusammenspiel mit ihren Angehörigen und dem Krankenpflegeverein funktioniert.
Als der Reporter an diesem sonnigen Vormittag eintrifft, ist Elvira Sinz beschäftigt. Die Memory-Partie geht in die entscheidende Phase. Kurz darauf ist das Spiel am großen Tisch der Stube vorbei: Sieg für Elvira, eine gepflegte Dame mit glänzend weißem Haar und goldenen Ohrringen. „Gratuliere“, sagt ihre 24-Stunden-Betreuerin Cosmina Cozma, die ihre Niederlage lächelnd wegsteckt. Seit einem Jahr kommt sie immer für vier Wochen in die 600-Seelen-Gemeinde Buch, bevor sie ebenso lange zuhause in Rumänien ist. In dieser Zeit übernimmt ihre Kollegin Cálina die Betreuung. Die Frauen kommen gut miteinander aus. Im großen Haus von Elvira Sinz ist Cozma heimisch geworden. Ihre Klientin bezeichnet sie als „meine Österreich-Mama“. Deutsch beherrscht die 46-Jährige fließend und lernt ständig weiter. Das Wörterbuch liegt stets griffbereit auf der Ablage. In Vorarlberg gefällt es ihr sehr gut: Sie empfindet die Leute als freundlich und hilfsbereit, das sei in ihrer Heimat anders.
Unterstützung
Christine Flatz, Elviras Tochter, die unter dem gleichen Dach lebt, kommt hinzu. „Mit den Betreuerinnen ist es einfach ein gutes Gefühl. Cosmina und ihre Kollegin Cálina sind sehr liebe Menschen.“ Eine schwere Nierenbeckenentzündung hatte ihre Mutter vor zwei Jahren ins Spital gebracht. Seither ist Elvira Sinz in 24-Stunden-Betreuung. Zudem war sie mit den Jahren immer vergesslicher geworden. „Sie war schlecht beieinander. Das habe ich zum Beispiel daran gemerkt, dass sie immer wieder vergessen hat, die Herdplatte auszuschalten“, erinnert sich Flatz (56). Kater Lui bekam Kaffeebohnen, umgekehrt landete sein Futter in der Kaffeemaschine. Man konnte sie einfach nicht mehr allein lassen. Flatz selbst konnte die Pflege nicht übernehmen, das ließ – und lässt – ihre Arbeit bei der Post nicht zu. Umso dankbarer war sie, dass der Krankenpflegeverein Buch und der Betreuungspool Vorarlberg ihr dabei halfen, eine gute Lösung für die Mutter zu finden.
Hand in Hand
Morgens um halb neun steht Cozma auf, hilft ihrer Klientin beim Waschen und Anziehen und bereitet das Frühstück vor. Danach drehen die beiden eine kleine Runde durchs Dorf, bevor sie sich gemeinsam um das Mittagessen kümmern. Der örtliche Krankenpflegeverein kommt einmal im Monat für eine Routine-Untersuchung ins Haus. Dabei wird beispielsweise der Blutdruck gemessen. Um Cozmas zweistündige Mittagspause zu überbrücken, wechseln sich Christine Flatz, ihre Schwester Ramona Schedler und deren Tochter Alina ab. In dieser Zeit geht Cozma eine Runde Spazieren oder besucht eine ihrer rumänischen Kolleginnen: Eine arbeitet wie sie in Buch, die andere im Nachbarort Alberschwende.
Nach der Pause beschäftigt sie sich wieder mit Elvira Sinz. Beide singen gern. Auch jetzt, während des Gespräches, stimmen sie immer wieder spontan eine kurze Melodie an. Welche gemeinsamen Tätigkeiten gibt es noch? „Wir spielen zum Beispiel Karten, puzzeln, kochen und spülen zusammen“, erzählt die Betreuerin. Gartenarbeiten teilt sie sich mit Christine Flatz. Manchmal gibt es sogar eine kleine Kasperltheater-Aufführung. „Hoffentlich können wir noch lange so bleiben“, sagt Elvira Sinz. Demenz hin, Osteoporose her – die alte Dame fühlt sich gut. Oder in ihren Worten: „Ich lebe noch.“
Betreuungspool Vorarlberg
Der Betreuungspool Vorarlberg vermittelt im Auftrag des Landes selbstständige Personenbetreuerinnen und ‑betreuer. Der Umfang reicht von circa vier Stunden am Block und bis zur 24-Stunden-Betreuung. Personenbetreuer/innen helfen bedürftigen Menschen im Haushalt, bei der Körperpflege und beim Essen und gestalten den Tagesablauf.
Kinderreich
Der gebürtigen Bregenzerwälderin ist ihr Glaube sehr wichtig, die Sonntagsmesse für sie ein Fixtermin: „Solange ich kann, gehe ich in die Kirche.“ Früher war sie als Sopransängerin im Kirchenchor dabei. Sie ist daran gewöhnt, viele Leute um sich herum zu haben – und daran, überall zu helfen, wo und wie sie nur kann. „Einen ganzen Berg von Buben und Mädchen“ hat sie in ihrem Haus aufwachsen sehen. Mit ihrem ersten Mann bekam sie vier Kinder. Der zweite Mann brachte zwei Kinder, die am Down-Syndrom litten, mit in die Ehe. Und zusätzlich hatte sie immer wieder Pflegekinder. Wie viele genau? Da muss auch Christine Flatz scharf nachdenken. „Über die Zeit verteilt waren es sicher zehn Pflegekinder“, sagt sie schließlich. „Wir haben immer gut zusammengepasst. Ich habe alle wie meine eigenen Kinder behandelt“, findet Elvira Sinz. Ihre Tochter nickt. Elvira Sinz ist Witwe, vor sechzehn Jahren starb auch ihr zweiter Ehemann. Das einzige männliche Wesen im Haushalt ist Lui, der sich immer wieder neugierig in die Stube schleicht.
Elvira Sinz hat nicht nur für ihre Familie viel gegeben. Wenn es im Dorf ein großes Fest gab, war sie zur Stelle und machte ihren legendären Kartoffelsalat in Riesenschüsseln. „Heute klappt das nicht mehr, da käme alles Mögliche in den Salat“, sagt Christine Flatz – und lacht dazu. Humor ist auch ihrer Mutter wichtig: „Ich bin immer schon ein lustiger Mensch gewesen. Alles andere bringt doch nichts. So kommt man viel weiter.“
Ein gutes Gefühl
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Rund um die Uhr kümmern sich abwechselnd zwei rumänische Betreuerinnen um Elvira Sinz (82). Das Zusammenspiel mit ihren Angehörigen und dem Krankenpflegeverein funktioniert.
Als der Reporter an diesem sonnigen Vormittag eintrifft, ist Elvira Sinz beschäftigt. Die Memory-Partie geht in die entscheidende Phase. Kurz darauf ist das Spiel am großen Tisch der Stube vorbei: Sieg für Elvira, eine gepflegte Dame mit glänzend weißem Haar und goldenen Ohrringen. „Gratuliere“, sagt ihre 24-Stunden-Betreuerin Cosmina Cozma, die ihre Niederlage lächelnd wegsteckt.
Seit einem Jahr kommt sie immer für vier Wochen in die 600-Seelen-Gemeinde Buch, bevor sie ebenso lange zuhause in Rumänien ist. In dieser Zeit übernimmt ihre Kollegin Cálina die Betreuung. Die Frauen kommen gut miteinander aus. Im großen Haus von Elvira Sinz ist Cozma heimisch geworden. Ihre Klientin bezeichnet sie als „meine Österreich-Mama“. Deutsch beherrscht die 46-Jährige fließend und lernt ständig weiter. Das Wörterbuch liegt stets griffbereit auf der Ablage. In Vorarlberg gefällt es ihr sehr gut: Sie empfindet die Leute als freundlich und hilfsbereit, das sei in ihrer Heimat anders.
Unterstützung
Christine Flatz, Elviras Tochter, die unter dem gleichen Dach lebt, kommt hinzu. „Mit den Betreuerinnen ist es einfach ein gutes Gefühl. Cosmina und ihre Kollegin Cálina sind sehr liebe Menschen.“ Eine schwere Nierenbeckenentzündung hatte ihre Mutter vor zwei Jahren ins Spital gebracht. Seither ist Elvira Sinz in 24-Stunden-Betreuung. Zudem war sie mit den Jahren immer vergesslicher geworden. „Sie war schlecht beieinander. Das habe ich zum Beispiel daran gemerkt, dass sie immer wieder vergessen hat, die Herdplatte auszuschalten“, erinnert sich Flatz (56). Kater Lui bekam Kaffeebohnen, umgekehrt landete sein Futter in der Kaffeemaschine. Man konnte sie einfach nicht mehr allein lassen. Flatz selbst konnte die Pflege nicht übernehmen, das ließ – und lässt – ihre Arbeit bei der Post nicht zu. Umso dankbarer war sie, dass der Krankenpflegeverein Buch und der Betreuungspool Vorarlberg ihr dabei halfen, eine gute Lösung für die Mutter zu finden.
Betreuungspool Vorarlberg
Der Betreuungspool Vorarlberg vermittelt im Auftrag des Landes selbstständige Personenbetreuerinnen und ‑betreuer. Der Umfang reicht von circa vier Stunden am Block und bis zur 24-Stunden-Betreuung. Personenbetreuer/innen helfen bedürftigen Menschen im Haushalt, bei der Körperpflege und beim Essen und gestalten den Tagesablauf.
Hand in Hand
Morgens um halb neun steht Cozma auf, hilft ihrer Klientin beim Waschen und Anziehen und bereitet das Frühstück vor. Danach drehen die beiden eine kleine Runde durchs Dorf, bevor sie sich gemeinsam um das Mittagessen kümmern. Der örtliche Krankenpflegeverein kommt einmal im Monat für eine Routine-Untersuchung ins Haus. Dabei wird beispielsweise der Blutdruck gemessen. Um Cozmas zweistündige Mittagspause zu überbrücken, wechseln sich Christine Flatz, ihre Schwester Ramona Schedler und deren Tochter Alina ab. In dieser Zeit geht Cozma eine Runde Spazieren oder besucht eine ihrer rumänischen Kolleginnen: Eine arbeitet wie sie in Buch, die andere im Nachbarort Alberschwende.
Nach der Pause beschäftigt sie sich wieder mit Elvira Sinz. Beide singen gern. Auch jetzt, während des Gespräches, stimmen sie immer wieder spontan eine kurze Melodie an. Welche gemeinsamen Tätigkeiten gibt es noch? „Wir spielen zum Beispiel Karten, puzzeln, kochen und spülen zusammen“, erzählt die Betreuerin. Gartenarbeiten teilt sie sich mit Christine Flatz. Manchmal gibt es sogar eine kleine Kasperltheater-Aufführung. „Hoffentlich können wir noch lange so bleiben“, sagt Elvira Sinz. Demenz hin, Osteoporose her – die alte Dame fühlt sich gut. Oder in ihren Worten: „Ich lebe noch.“
Kinderreich
Der gebürtigen Bregenzerwälderin ist ihr Glaube sehr wichtig, die Sonntagsmesse für sie ein Fixtermin: „Solange ich kann, gehe ich in die Kirche.“ Früher war sie als Sopransängerin im Kirchenchor dabei. Sie ist daran gewöhnt, viele Leute um sich herum zu haben – und daran, überall zu helfen, wo und wie sie nur kann. „Einen ganzen Berg von Buben und Mädchen“ hat sie in ihrem Haus aufwachsen sehen. Mit ihrem ersten Mann bekam sie vier Kinder. Der zweite Mann brachte zwei Kinder, die am Down-Syndrom litten, mit in die Ehe. Und zusätzlich hatte sie immer wieder Pflegekinder. Wie viele genau? Da muss auch Christine Flatz scharf nachdenken. „Über die Zeit verteilt waren es sicher zehn Pflegekinder“, sagt sie schließlich. „Wir haben immer gut zusammengepasst. Ich habe alle wie meine eigenen Kinder behandelt“, findet Elvira Sinz. Ihre Tochter nickt. Elvira Sinz ist Witwe, vor sechzehn Jahren starb auch ihr zweiter Ehemann. Das einzige männliche Wesen im Haushalt ist Lui, der sich immer wieder neugierig in die Stube schleicht.
Elvira Sinz hat nicht nur für ihre Familie viel gegeben. Wenn es im Dorf ein großes Fest gab, war sie zur Stelle und machte ihren legendären Kartoffelsalat in Riesenschüsseln. „Heute klappt das nicht mehr, da käme alles Mögliche in den Salat“, sagt Christine Flatz – und lacht dazu. Humor ist auch ihrer Mutter wichtig: „Ich bin immer schon ein lustiger Mensch gewesen. Alles andere bringt doch nichts. So kommt man viel weiter.“