„Freude ist hier eine Frage von Augenblicken“
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Seit September 2017 führt Ruth Weiskopf als Pflegedienstleiterin die beiden Heime der Stadt Dornbirn. Im Interview schildert die gebürtige Götznerin ihre persönlichen Eindrücke aus 30 Jahren Berufspraxis.
Weshalb haben Sie sich für einen Pflegeberuf entschieden?
Ruth Weiskopf: Als ich 19 Jahre alt war, war mein Partner schwerkrank und brauchte zuhause eine Dialyse. Diese Aufgabe übernahm ich zwei Jahre lang. Kurz vor seinem Tod war er im Krankenhaus. Da kam eine Krankenschwester auf mich zu und fragte mich: „Ruth, weißt Du, was da jetzt passiert? Er wird sterben.“ Dieser Satz war so wichtig. Eigentlich war die Situation klar, doch ich wollte sie nicht fertig denken. Das war ein Schlüsselerlebnis. Diese Klärung brauchte ich und andere brauchen sie auch. Darauf achte ich heute, wenn es solche Momente hier im Pflegeheim gibt. Als mein Partner damals gestorben war, fing ich an, in Wien Kunstgeschichte zu studieren. Schnell ist mir aber klar geworden: Das ist mir zu weit weg, zu theoretisch, ich muss zupacken können. Ich muss spüren, dass es sinnvoll ist, was ich tue.
Nun arbeiten Sie bereits 30 Jahre lang in dieser Branche. Was macht für Sie gute Pflege aus?
Weiskopf: Das Geheimnis guter Pflege ist ein gutes Handwerk. Es geht darum, auf Menschen zugehen zu können, ihre Bedürfnisse zu erahnen und rasch zu erkennen, wo der Betreuungs- oder Pflegebedarf liegt. Menschen zu verstehen ist eine anspruchsvolle und meist komplexe Angelegenheit. Es braucht viel Wissen und Erfahrung, um Pflegephänomene richtig einzuschätzen und zuzuordnen. Pflegende sollten achtsam sein, klug, empathisch und eine gesunde Gelassenheit mitbringen. Professionelle Pflege bedeutet auch, bis zu einem gewissen Grad den Job distanziert zu betrachten. Es ist wichtig, Grenzen setzen zu können. In Zeiten, in denen der Druck überall in der Pflege zunimmt, kommt es immer mehr auf einen achtsamen Umgang mit den eigenen Ressourcen an.
Wie gelingt es Ihnen, Grenzen zu setzen?
Weiskopf: Mir selbst? Schlecht (lacht). In meiner Position als Führungskraft fällt das jedoch grundsätzlich leichter.
Aber Sie kennen ja die Perspektive einer Pflegekraft …
Weiskopf: Stimmt, in dieser Rolle war ich selbst 20 Jahre lang. Ich habe immer im Job Vollgas gegeben und den Ausgleich bei Ski- oder Biketouren gefunden. Wenn ich eine gute Work-Life-Balance habe, halte ich den Job gut aus. Meine Erfahrung hilft mir, die Abgrenzung im Job bleibt dennoch eine große Herausforderung. Ich verstehe, dass Kollegen damit Schwierigkeiten haben. Wenn man gibt, verliert man Energie. Das ist ja logisch. Empathie macht verletzlich. Das gilt generell für soziale Berufe. Wenn man den ganzen Tag redet, will man abends seine Ruhe haben.
Was gibt Ihnen der Bergsport?
Weiskopf: Ich komme aus einer sehr sportlichen Familie. Bewegung nährt mich, sie gibt mir Freiheit. Die Natur übt eine große Kraft auf mich aus, sie ordnet mich wieder. Das war schon früher so, als ich noch Pflegekraft war. Wenn ich damals ein Problem hatte, bin ich oft zwischen meinen Diensten im Gelände joggen gegangen. Danach war das Problem gelöst. Das funktioniert noch heute bei mir wie ein Trichter: Oben kommen alle Gedanken rein und unten kommt eine Münze heraus. Manchmal schaffe ich es, mit dem Fahrrad von zuhause in Mäder zur Arbeit kommen. Mit dieser Dreiviertelstunde Fahrt startet der Tag ganz anders.
Arbeiten in Pflege und Betreuung
Die Betreuung und Pflege von Menschen ist ein besonderer Beruf: fachlich herausfordernd, abwechslungsreich und erfüllend – mit einer Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten. Mobile Hilfsdienste, Hauskrankenpflege, Pflegeheime und weitere Einrichtungen suchen laufend MitarbeiterInnen. Land, Gemeinden und Arbeitsmarktservice unterstützen die Umschulung.
Die Pflegeheime der Stadt Dornbirn – Birkenwiese und Höchsterstraße – werben auf ihrer Homepage damit, dass Humor hier ein „gelebter Wert“ sei. Was bedeutet das konkret?
Weiskopf: Wir haben zum Beispiel Clownfrauen, die einmal pro Monat durch die Häuser gehen. Humor im Alltag bedeutet bei uns, wenn man gemeinsam singt und einen Ton nicht trifft. Wir möchten Normalität erzeugen, die dem echten Leben nahekommt. Dabei hilft es, wenn Kinder oder Enkel zu Besuch kommen. Andere Momente initiieren wir bewusst. Freude entsteht zum Beispiel, wenn man das Fenster öffnet und den Sonnenaufgang beobachtet. Es ist unsere Verpflichtung, dass sich die Klienten einmal am Tag lustvoll spüren. Sie sind alle sehr krank, bei ihnen ist Freude eine Frage von Augenblicken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier leisten so Großes, das muss man ihnen immer wieder sagen. Mein Pflegelehrer hat gesagt: „Unser Job ist, in der Begegnung Wohlbefinden zu erzeugen. Wir sollten nicht den Anspruch haben, die Leute glücklich zu machen.“ Das trifft es.
Welche Vorbehalte spüren Sie gegenüber Pflegeheimen?
Weiskopf: Früher wurden oft Pflegeheime mit Armenhäusern gleichgesetzt. Diese Zeit ist zum Glück vorbei. Den Spruch „Wenn Du so weitermachst, kommst Du ins Heim“ gibt es hingegen leider noch. Das zu hören ist für mich das Kränkendste.
Worin genau liegt diese Kränkung?
Weiskopf: Unsere Bewohner sind meistens an Demenz erkrankt. Sie können nichts dafür, dass sie so sind, wie sie sind. Natürlich ist so eine Situation zuhause eine große Belastung. Mein Ziel ist, dass die Pflegeheime als Trost empfunden werden, vor allem von den Angehörigen. Sie sollen wissen: Es gibt noch eine Lösung, wenn es zuhause nicht mehr geht. Sie machen es sich nie leicht: Zu uns wird niemand einfach abgeschoben, das stimmt einfach nicht.
Was schätzen Angehörige an diesen Pflegeheimen?
Weiskopf: Wir schauen darauf, dass wir eine hohe Betreuungs- und Pflegequalität anbieten, damit die Familien ihre Angehörigen vertrauensvoll zu uns bringen können. Sterben, Verwirrtheit, Behinderung und Schmerz sind unser tägliches Brot. Oft sind die therapeutischen Erfolge bescheiden. Wir sind da um auszuhalten, zu ertragen, zu schützen und zu unterstützen. Ein großer Teil unserer qualifizierten Arbeit ist auch, Angehörige darin zu begleiten, Abschied zu nehmen. All das ist eine hohe Kunst, eine hohe Verantwortung. Wir haben viele alte Menschen und wir haben als Gesellschaft eine ethische Verpflichtung, sie zu betreuen – ob in Pflegeheimen oder in der häuslichen Pflege. Aber wir haben die Mittel dazu, die Versorgungskette funktioniert.
Zur Person
- Ruth Weiskopf, Jahrgang 1966, verheiratet, Mutter einer Tochter
- Ausbildung zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP), später zweijähriges Master-Studium in Pflegemanagement
- 2002 bis 2017 bei den Sozialdiensten Götzis, zunächst als Wohngruppen‑, dann als Pflegedienstleiterin
- Seit 1.9.2017 Pflegedienstleiterin der Pflegeheime der Stadt Dornbirn
„Freude ist hier eine Frage von Augenblicken“
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Seit September 2017 führt Ruth Weiskopf als Pflegedienstleiterin die beiden Heime der Stadt Dornbirn. Im Interview schildert die gebürtige Götznerin ihre persönlichen Eindrücke aus 30 Jahren Berufspraxis.
Weshalb haben Sie sich für einen Pflegeberuf entschieden?
Ruth Weiskopf: Als ich 19 Jahre alt war, war mein Partner schwerkrank und brauchte zuhause eine Dialyse. Diese Aufgabe übernahm ich zwei Jahre lang. Kurz vor seinem Tod war er im Krankenhaus. Da kam eine Krankenschwester auf mich zu und fragte mich: „Ruth, weißt Du, was da jetzt passiert? Er wird sterben.“ Dieser Satz war so wichtig. Eigentlich war die Situation klar, doch ich wollte sie nicht fertig denken. Das war ein Schlüsselerlebnis. Diese Klärung brauchte ich und andere brauchen sie auch. Darauf achte ich heute, wenn es solche Momente hier im Pflegeheim gibt. Als mein Partner damals gestorben war, fing ich an, in Wien Kunstgeschichte zu studieren. Schnell ist mir aber klar geworden: Das ist mir zu weit weg, zu theoretisch, ich muss zupacken können. Ich muss spüren, dass es sinnvoll ist, was ich tue.
Nun arbeiten Sie bereits 30 Jahre lang in dieser Branche. Was macht für Sie gute Pflege aus?
Weiskopf: Das Geheimnis guter Pflege ist ein gutes Handwerk. Es geht darum, auf Menschen zugehen zu können, ihre Bedürfnisse zu erahnen und rasch zu erkennen, wo der Betreuungs- oder Pflegebedarf liegt. Menschen zu verstehen ist eine anspruchsvolle und meist komplexe Angelegenheit. Es braucht viel Wissen und Erfahrung, um Pflegephänomene richtig einzuschätzen und zuzuordnen. Pflegende sollten achtsam sein, klug, empathisch und eine gesunde Gelassenheit mitbringen. Professionelle Pflege bedeutet auch, bis zu einem gewissen Grad den Job distanziert zu betrachten. Es ist wichtig, Grenzen setzen zu können. In Zeiten, in denen der Druck überall in der Pflege zunimmt, kommt es immer mehr auf einen achtsamen Umgang mit den eigenen Ressourcen an.
Arbeiten in Pflege und Betreuung
Die Betreuung und Pflege von Menschen ist ein besonderer Beruf: fachlich herausfordernd, abwechslungsreich und erfüllend – mit einer Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten. Mobile Hilfsdienste, Hauskrankenpflege, Pflegeheime und weitere Einrichtungen suchen laufend MitarbeiterInnen. Land, Gemeinden und Arbeitsmarktservice unterstützen die Umschulung.
Wie gelingt es Ihnen, Grenzen zu setzen?
Weiskopf: Mir selbst? Schlecht (lacht). In meiner Position als Führungskraft fällt das jedoch grundsätzlich leichter.
Aber Sie kennen ja die Perspektive einer Pflegekraft …
Weiskopf: Stimmt, in dieser Rolle war ich selbst 20 Jahre lang. Ich habe immer im Job Vollgas gegeben und den Ausgleich bei Ski- oder Biketouren gefunden. Wenn ich eine gute Work-Life-Balance habe, halte ich den Job gut aus. Meine Erfahrung hilft mir, die Abgrenzung im Job bleibt dennoch eine große Herausforderung. Ich verstehe, dass Kollegen damit Schwierigkeiten haben. Wenn man gibt, verliert man Energie. Das ist ja logisch. Empathie macht verletzlich. Das gilt generell für soziale Berufe. Wenn man den ganzen Tag redet, will man abends seine Ruhe haben.
Was gibt Ihnen der Bergsport?
Weiskopf: Ich komme aus einer sehr sportlichen Familie. Bewegung nährt mich, sie gibt mir Freiheit. Die Natur übt eine große Kraft auf mich aus, sie ordnet mich wieder. Das war schon früher so, als ich noch Pflegekraft war. Wenn ich damals ein Problem hatte, bin ich oft zwischen meinen Diensten im Gelände joggen gegangen. Danach war das Problem gelöst. Das funktioniert noch heute bei mir wie ein Trichter: Oben kommen alle Gedanken rein und unten kommt eine Münze heraus. Manchmal schaffe ich es, mit dem Fahrrad von zuhause in Mäder zur Arbeit kommen. Mit dieser Dreiviertelstunde Fahrt startet der Tag ganz anders.
Zur Person
- Ruth Weiskopf, Jahrgang 1966, verheiratet, Mutter einer Tochter
- Ausbildung zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP), später zweijähriges Master-Studium in Pflegemanagement
- 2002 bis 2017 bei den Sozialdiensten Götzis, zunächst als Wohngruppen‑, dann als Pflegedienstleiterin
- Seit 1.9.2017 Pflegedienstleiterin der Pflegeheime der Stadt Dornbirn
Die Pflegeheime der Stadt Dornbirn – Birkenwiese und Höchsterstraße – werben auf ihrer Homepage damit, dass Humor hier ein „gelebter Wert“ sei. Was bedeutet das konkret?
Weiskopf: Wir haben zum Beispiel Clownfrauen, die einmal pro Monat durch die Häuser gehen. Humor im Alltag bedeutet bei uns, wenn man gemeinsam singt und einen Ton nicht trifft. Wir möchten Normalität erzeugen, die dem echten Leben nahekommt. Dabei hilft es, wenn Kinder oder Enkel zu Besuch kommen. Andere Momente initiieren wir bewusst. Freude entsteht zum Beispiel, wenn man das Fenster öffnet und den Sonnenaufgang beobachtet. Es ist unsere Verpflichtung, dass sich die Klienten einmal am Tag lustvoll spüren. Sie sind alle sehr krank, bei ihnen ist Freude eine Frage von Augenblicken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier leisten so Großes, das muss man ihnen immer wieder sagen. Mein Pflegelehrer hat gesagt: „Unser Job ist, in der Begegnung Wohlbefinden zu erzeugen. Wir sollten nicht den Anspruch haben, die Leute glücklich zu machen.“ Das trifft es.
Welche Vorbehalte spüren Sie gegenüber Pflegeheimen?
Weiskopf: Früher wurden oft Pflegeheime mit Armenhäusern gleichgesetzt. Diese Zeit ist zum Glück vorbei. Den Spruch „Wenn Du so weitermachst, kommst Du ins Heim“ gibt es hingegen leider noch. Das zu hören ist für mich das Kränkendste.
Worin genau liegt diese Kränkung?
Weiskopf: Unsere Bewohner sind meistens an Demenz erkrankt. Sie können nichts dafür, dass sie so sind, wie sie sind. Natürlich ist so eine Situation zuhause eine große Belastung. Mein Ziel ist, dass die Pflegeheime als Trost empfunden werden, vor allem von den Angehörigen. Sie sollen wissen: Es gibt noch eine Lösung, wenn es zuhause nicht mehr geht. Sie machen es sich nie leicht: Zu uns wird niemand einfach abgeschoben, das stimmt einfach nicht.
Was schätzen Angehörige an diesen Pflegeheimen?
Weiskopf: Wir schauen darauf, dass wir eine hohe Betreuungs- und Pflegequalität anbieten, damit die Familien ihre Angehörigen vertrauensvoll zu uns bringen können. Sterben, Verwirrtheit, Behinderung und Schmerz sind unser tägliches Brot. Oft sind die therapeutischen Erfolge bescheiden. Wir sind da um auszuhalten, zu ertragen, zu schützen und zu unterstützen. Ein großer Teil unserer qualifizierten Arbeit ist auch, Angehörige darin zu begleiten, Abschied zu nehmen. All das ist eine hohe Kunst, eine hohe Verantwortung. Wir haben viele alte Menschen und wir haben als Gesellschaft eine ethische Verpflichtung, sie zu betreuen – ob in Pflegeheimen oder in der häuslichen Pflege. Aber wir haben die Mittel dazu, die Versorgungskette funktioniert.