Getrennt und doch zusammen
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Im Sozialzentrum Bürs hat Maja Luger (94) eine zweite Heimat gefunden. Ihr Mann Werner (93) kommt jeden Morgen mit seinem roten Polo aus Bludenz, um den Tag mit ihr zu verbringen.
Kurz nach elf Uhr, gleich wird das Mittagessen serviert: Karottensuppe, Leberkäse mit Gemüse und Kroketten, zum Dessert eine feine Creme. Im kleinen Stüble, direkt neben dem Aufenthaltsraum und Speisesaal, stehen bereits eine kleine Flasche Bier und zwei Gläser. In wenigen Minuten nimmt ein besonderes Paar Platz: Maja und Werner Luger. Sie ist seit Oktober 2015 Bewohnerin des Sozialzentrums, er wohnt zweieinhalb Kilometer entfernt in Bludenz. Jeden Morgen steigt der 93-Jährige in sein kleines Auto, um den Tag mit ihr in Bürs zu verbringen. „Ich habe hier Vollpension“, sagt er mit einem herzlichen Lachen.
Über das Leben im Sozialzentrum Bürs sind beide glücklich. „Ich habe noch nie ein böses oder auch nur lautes Wort vom Personal gehört“, berichtet er. „Das stimmt“, pflichtet Maja ihm lächelnd bei, „schimpfen tust nur Du mit mir.“ Sie ist schwer dement. Den Umgang mit dieser Krankheit musste er erst lernen. „Anfangs bin ich verrückt geworden, wenn ich ihr alles zwanzig Mal sagen musste.“ Dabei gaben ihm die Mitarbeiter hilfreiche Tipps – und dazu praktische Hinweis für sein Leben zuhause, das der alte Herr komplett allein organisiert. Seitdem weiß er beispielsweise, wie er einfacher seine Hemden bügelt. Seine Unterhosen und Unterhemden bügelt er gar nicht mehr: „Wenn ich einen Tipp kriege, nehme ich ihn gerne an.“
Mäxle und der lange Hansl
Das vorherige gemeinsame Leben in Bludenz war für beide immer schwieriger geworden. Wie viele Demenzkranke schläft Maja schlecht. So wurden auch seine Nächte immer anstrengender. Über eine Case Managerin suchte er sich Unterstützung: Zweimal pro Woche kam der Mobile Hilfsdienst, einmal der Krankenpflegeverein, dazu Essen auf Rädern. Irgendwann wurde die Belastung zuhause zu groß. Mithilfe der Case Managerin fand sie einen Platz im Sozialzentrum Bürs.
Im Vergleich zu ihr ist Pflegedienstleiter Wolfgang Purtscher groß. Schnell hatte sie einen Spitznamen gefunden: „Der lange Hansl“ ist er heute noch für sie. Maja hat die zweithöchste Pflegestufe. Dazu trägt eine Netzhautablösung bei, wegen der sie schlecht sieht. Fernsehen ist ihr beispielsweise nicht mehr möglich.
Doch ihr wird es nicht langweilig. Immer wieder gibt es im Haus Angebote, die die beiden interessieren. „Wir basteln und singen, manchmal gibt es Kochkurse oder Gitarrenkonzerte“, erzählt Werner lebhaft. Maja hat sich inzwischen auf das Bett ihres Einzelzimmers im zweiten Stock gelegt, um sich etwas auszuruhen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich kürzer. Im Sommer machen die beiden kleine Spaziergänge draußen. Gerne sitzen sie einfach gemeinsam am Fenster und beobachten, was draußen vor sich geht. Ein wichtiger Bezugspunkt für Maja ist der Hauskater Mäxle. Er sitzt oft im Flur, direkt neben dem Fahrstuhl und kommt, wenn sich die Gelegenheit bietet, gerne zu ihr ins Zimmer.
Info
Pflegeheime in Vorarlberg
49 Pflegeheime gibt es in ganz Vorarlberg, von A wie Alberschwende bis W wie Wolfurt. Sie bieten neben dauerhaften Plätzen weitere Dienstleistungen an, um pflegende Angehörige zu unterstützen. Dazu zählen unter anderen Urlaubsbetten, Tagesbetreuung, Nachtbetreuung oder die sogenannte Übergangspflege nach einem Krankenhausaufenthalt.
Weitere Informationen auf www.betreuungundpflege.at sowie auf www.vorarlberg.at.
Getrennt und doch zusammen
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Im Sozialzentrum Bürs hat Maja Luger (94) eine zweite Heimat gefunden. Ihr Mann Werner (93) kommt jeden Morgen mit seinem roten Polo aus Bludenz, um den Tag mit ihr zu verbringen.
Kurz nach elf Uhr, gleich wird das Mittagessen serviert: Karottensuppe, Leberkäse mit Gemüse und Kroketten, zum Dessert eine feine Creme. Im kleinen Stüble, direkt neben dem Aufenthaltsraum und Speisesaal, stehen bereits eine kleine Flasche Bier und zwei Gläser. In wenigen Minuten nimmt ein besonderes Paar Platz: Maja und Werner Luger.
Sie ist seit Oktober 2015 Bewohnerin des Sozialzentrums, er wohnt zweieinhalb Kilometer entfernt in Bludenz. Jeden Morgen steigt der 93-Jährige in sein kleines Auto, um den Tag mit ihr in Bürs zu verbringen. „Ich habe hier Vollpension“, sagt er mit einem herzlichen Lachen.
Über das Leben im Sozialzentrum Bürs sind beide glücklich. „Ich habe noch nie ein böses oder auch nur lautes Wort vom Personal gehört“, berichtet er. „Das stimmt“, pflichtet Maja ihm lächelnd bei, „schimpfen tust nur Du mit mir.“ Sie ist schwer dement. Den Umgang mit dieser Krankheit musste er erst lernen. „Anfangs bin ich verrückt geworden, wenn ich ihr alles zwanzig Mal sagen musste.“ Dabei gaben ihm die Mitarbeiter hilfreiche Tipps – und dazu praktische Hinweis für sein Leben zuhause, das der alte Herr komplett allein organisiert. Seitdem weiß er beispielsweise, wie er einfacher seine Hemden bügelt. Seine Unterhosen und Unterhemden bügelt er gar nicht mehr: „Wenn ich einen Tipp kriege, nehme ich ihn gerne an.“
Mäxle und der lange Hansl
Das vorherige gemeinsame Leben in Bludenz war für beide immer schwieriger geworden. Wie viele Demenzkranke schläft Maja schlecht. So wurden auch seine Nächte immer anstrengender. Über eine Case Managerin suchte er sich Unterstützung: Zweimal pro Woche kam der Mobile Hilfsdienst, einmal der Krankenpflegeverein, dazu Essen auf Rädern. Irgendwann wurde die Belastung zuhause zu groß. Mithilfe der Case Managerin fand sie einen Platz im Sozialzentrum Bürs.
Info
Pflegeheime in Vorarlberg
51 Pflegeheime gibt es in ganz Vorarlberg, von A wie Alberschwende bis W wie Wolfurt. Sie bieten neben dauerhaften Plätzen weitere Dienstleistungen an, um pflegende Angehörige zu unterstützen. Dazu zählen unter anderen Urlaubsbetten, Tagesbetreuung, Nachtbetreuung oder die sogenannte Übergangspflege nach einem Krankenhausaufenthalt.
Weitere Informationen auf www.betreuungundpflege.at sowie auf www.vorarlberg.at.
Im Vergleich zu ihr ist Pflegedienstleiter Wolfgang Purtscher groß. Schnell hatte sie einen Spitznamen gefunden: „Der lange Hansl“ ist er heute noch für sie. Maja hat die zweithöchste Pflegestufe. Dazu trägt eine Netzhautablösung bei, wegen der sie schlecht sieht. Fernsehen ist ihr beispielsweise nicht mehr möglich.
Doch ihr wird es nicht langweilig. Immer wieder gibt es im Haus Angebote, die die beiden interessieren. „Wir basteln und singen, manchmal gibt es Kochkurse oder Gitarrenkonzerte“, erzählt Werner lebhaft. Maja hat sich inzwischen auf das Bett ihres Einzelzimmers im zweiten Stock gelegt, um sich etwas auszuruhen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich kürzer. Im Sommer machen die beiden kleine Spaziergänge draußen. Gerne sitzen sie einfach gemeinsam am Fenster und beobachten, was draußen vor sich geht. Ein wichtiger Bezugspunkt für Maja ist der Hauskater Mäxle. Er sitzt oft im Flur, direkt neben dem Fahrstuhl und kommt, wenn sich die Gelegenheit bietet, gerne zu ihr ins Zimmer.
Selbstverständlicher Umgang mit Technik
Kennengelernt hatten sich Werner und Maja bei der ehemaligen Texilfirma Hämmerle in Gisingen, ihrem Heimatort. 1940 wurde Werner eingezogen und kam zur Marine. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges folgten für ihn drei Jahre Kriegsgefangenschaft in Russland. Seitdem ist er auf der linken Seite taub, rechts sind ihm nur fünf Prozent Hörkraft geblieben. Dank eines Hörgeräts kann er sich bis heute gut unterhalten. 1949 heirateten die beiden, Tochter Brigitte kam zur Welt. „Er ist ein Braver“, sagt Maja über ihren Mann, „ich hatte mit ihm ein Riesenglück.“ Früher verreisten sie viel, vor allem an die italienische Adriaküste und an den Wörthersee. Ihn zog es viel in die Berge. So machte er sich nach einer Nachtschicht – inzwischen bei Getzner in Nenzing – schon mal auf den Weg in den Nenzinger Himmel und weiter auf die Schesaplana.
Weite Reisen unternehmen sie heute nicht mehr. Doch einmal pro Monat fahren sie immer noch zur Tochter nach St. Gallen, Werner am Steuer. Um den Kontakt mit ihr zu halten, lässt er sich auf moderne Technik ein. Wolfgang Purtscher half Werner, die richtigen Apps auf seinem iPhone zu installieren. Mit FaceTime und WhatsApp tauschen sich Eltern und Tochter aus. Maja hatte neun Geschwister, heute sind es noch zwei. „Ich komme mir hier vor wie in einer großer Familie“, sagt sie über ihr heutiges Leben im Sozialzentrum Bürs. Werner mag das kleine Haus, in dem vier Pflegekräfte 23 Bewohner versorgen und das unter einem Dach z. B. Seniorenwohnungen und eine Kleinkindbetreuung vereint.
Struktur gibt Sicherheit
Jeden Morgen steht Werner gegen 6.30 Uhr in Bludenz auf, macht sich frisch und kümmert sich um den Haushalt. Mal ist Staubsaugen, mal Fensterputzen oder Bügeln dran. Zum Frühstück ist er um halb neun in Bürs und kehrt erst nach dem Abendessen zurück. „Was würde ich sonst den ganzen Tag allein zuhause machen? Da fällt mir doch die Decke auf den Kopf“, sagt er. Eine klare Tagesstruktur ist für Demenzpatienten sehr wichtig, dabei helfen Maja vor allem das Pflegepersonal und Werner. Er unterstützt sie auch bei Toilettengängen und dabei, aktiv zu bleiben. So geht er mit ihr drei Mal vom Zimmer zum Aufenthaltsraum hin und her oder übt mit ihr, die Treppen hinunterzusteigen. Zurück nehmen sie den Aufzug.
Noch ist Werner topfit und steigt Tag für Tag in den knallroten VW Polo, um zu seiner Maja zu fahren. Doch er ist sich im Klaren darüber, dass sich sein Gesundheitszustand schnell ändern kann. Eine Alternative hat er sich schon überlegt: „Wenn ich nicht mehr Autofahren kann, kaufe ich mir eine Jahreskarte für die Öffis.“
Wenige Wochen nach dem Interview und den Filmaufnahmen ist Maja Luger gestorben. Wir hoffen, dass unsere Geschichte und der Film helfen, sie als jenen fröhlichen, zufriedenen Menschen in Erinnerung zu behalten, als den wir sie kennengelernt haben.
Thorsten Bayer, Yohana Papa Onyango, Markus Gmeiner
Selbstverständlicher Umgang mit Technik
Kennengelernt hatten sich Werner und Maja bei der ehemaligen Texilfirma Hämmerle in Gisingen, ihrem Heimatort. 1940 wurde Werner eingezogen und kam zur Marine. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges folgten für ihn drei Jahre Kriegsgefangenschaft in Russland. Seitdem ist er auf der linken Seite taub, rechts sind ihm nur fünf Prozent Hörkraft geblieben. Dank eines Hörgeräts kann er sich bis heute gut unterhalten. 1949 heirateten die beiden, Tochter Brigitte kam zur Welt. „Er ist ein Braver“, sagt Maja über ihren Mann, „ich hatte mit ihm ein Riesenglück.“ Früher verreisten sie viel, vor allem an die italienische Adriaküste und an den Wörthersee. Ihn zog es viel in die Berge. So machte er sich nach einer Nachtschicht – inzwischen bei Getzner in Nenzing – schon mal auf den Weg in den Nenzinger Himmel und weiter auf die Schesaplana.
Weite Reisen unternehmen sie heute nicht mehr. Doch einmal pro Monat fahren sie immer noch zur Tochter nach St. Gallen, Werner am Steuer. Um den Kontakt mit ihr zu halten, lässt er sich auf moderne Technik ein. Wolfgang Purtscher half Werner, die richtigen Apps auf seinem iPhone zu installieren. Mit FaceTime und WhatsApp tauschen sich Eltern und Tochter aus. Maja hatte neun Geschwister, heute sind es noch zwei. „Ich komme mir hier vor wie in einer großer Familie“, sagt sie über ihr heutiges Leben im Sozialzentrum Bürs. Werner mag das kleine Haus, in dem vier Pflegekräfte 23 Bewohner versorgen und das unter einem Dach z. B. Seniorenwohnungen und eine Kleinkindbetreuung vereint.
Struktur gibt Sicherheit
Jeden Morgen steht Werner gegen 6.30 Uhr in Bludenz auf, macht sich frisch und kümmert sich um den Haushalt. Mal ist Staubsaugen, mal Fensterputzen oder Bügeln dran. Zum Frühstück ist er um halb neun in Bürs und kehrt erst nach dem Abendessen zurück. „Was würde ich sonst den ganzen Tag allein zuhause machen? Da fällt mir doch die Decke auf den Kopf“, sagt er. Eine klare Tagesstruktur ist für Demenzpatienten sehr wichtig, dabei helfen Maja vor allem das Pflegepersonal und Werner. Er unterstützt sie auch bei Toilettengängen und dabei, aktiv zu bleiben. So geht er mit ihr drei Mal vom Zimmer zum Aufenthaltsraum hin und her oder übt mit ihr, die Treppen hinunterzusteigen. Zurück nehmen sie den Aufzug.
Noch ist Werner topfit und steigt Tag für Tag in den knallroten VW Polo, um zu seiner Maja zu fahren. Doch er ist sich im Klaren darüber, dass sich sein Gesundheitszustand schnell ändern kann. Eine Alternative hat er sich schon überlegt: „Wenn ich nicht mehr Autofahren kann, kaufe ich mir eine Jahreskarte für die Öffis.“
Wenige Wochen nach dem Interview und den Filmaufnahmen ist Maja Luger gestorben. Wir hoffen, dass unsere Geschichte und der Film helfen, sie als jenen fröhlichen, zufriedenen Menschen in Erinnerung zu behalten, als den wir sie kennengelernt haben.
Thorsten Bayer, Yohana Papa Onyango, Markus Gmeiner