Mit Herz und Verstand
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Nur wenn es den Pflegekräften gut geht, kann es auch den Bewohnern eines Pflegeheims gut gehen. Florian Taibl setzt sich für ergonomische Arbeitsbedingungen ein.
Seine Entscheidung für einen Pflegeberuf fiel zunächst zufällig. Florian Taibl (36) wuchs in Egg auf und verbrachte seinen Zivildienst im dortigen Vinzenzheim. Schon damals machte ihm die Arbeit Spaß. Nach einem Semester Intermedia-Studium war ihm endgültig klar: „Der soziale Bereich liegt mir mehr.“ Nach absolvierter Krankenpflegeschule in Bregenz kehrte er in seine Heimatgemeinde zurück. Im Jahr 2008 brannte das Vinzenzheim ab, zwölf Menschen kamen ums Leben. Einige davon hatte er jahrelang gekannt und gepflegt. „Wie allen anderen ging es mir anfangs natürlich schlecht. Durch den raschen Beginn mit meiner Arbeit im Pflegeheim Hittisau einen Monat später konnte ich loslassen und mich wieder auf die Zukunft fokussieren.“ Vorherige Fortbildungen im Umgang mit Sterbefällen halfen ihm durch die schwere Zeit.
In Hittisau ist er geblieben und stellvertretender Heimleiter geworden. Aufgaben am Schreibtisch und direkt in der Pflege wechseln sich bei ihm ab. Die tägliche Autofahrt von seinem Wohnort Wolfurt nimmt er gerne in Kauf: „Morgens geht´s eher im Halbschlaf routiniert nach Hittisau. Abends kann ich die Fahrt gut dazu nützen, mit Hilfe von lauter Musik von der Arbeit abzuschalten – Metal, Punk und New-Wave-Musik aus der 80-ern sei Dank!“ Das Team in Hittisau gefalle ihm sehr: „Alle ziehen am selben Strang, ohne Konkurrenzgedanken.“ Ein weiterer Pluspunkt sind individuell abgestimmte Dienstpläne und die „Wälder“ Kollegen: „Das sind super Arbeitsbedingungen.“ Dazu trägt er mit seiner offenen Art und seiner Spezialisierung als „Ergo-Coach“ direkt bei.
Keine Chance für Rückenschmerzen
Ergonomie ist ein großes Thema für Pflegekräfte. So erfüllend ihre Arbeit sein kann – sie ist psychisch und physisch sehr fordernd. Rückenschmerzen sind die Berufskrankheit Nummer eins, weiß Florian aus eigener Erfahrung: „Bei mir selbst hat es bereits während des Zivildienstes zum ersten Mal im Rücken gezwickt.“ Das häufige Heben und Drehen der Bewohner hinterlässt seine Spuren. Besonders dann, wenn die Pflegekräfte Hilfsmittel nicht oder zu selten einsetzen. Dabei sind diese Geräte häufig schon da, müssen gar nicht extra angeschafft werden. „Doch einige sagen, per Hand gehe es schneller. Dabei stimmt das gar nicht“, weiß er. Die Macht der Gewohnheit erschwert hier und da ein Umdenken. Denn nicht nur die Bewohner, auch die Pflegekräfte sollen gut alt werden können. Die Basis ist die Mentalität seiner Kollegen und vor allem Kolleginnen: „Viele schauen zwar sehr auf die Gesundheit der Bewohner, aber viel zu wenig auf ihr eigenes Wohl. Dabei profitieren alle davon, wenn es den Pflegekräften gut geht. Das ist eine klassische Win-Win-Situation. Wenn ich unter Schmerzen arbeiten muss, habe ich schlechte Laune. Das wirkt sich auch negativ auf die Bewohner aus.“
Info
Ergonomie ist die Wissenschaft von der menschlichen Arbeit. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern „ergon“ (Arbeit) und „nomos“ (Gesetz, Regel) zusammen. Das Gabler-Wirtschaftslexikon sieht das Ziel der Ergonomie am Arbeitsplatz darin, „Arbeit an die Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen bei der Arbeit anzupassen. Dies geschieht durch die Optimierung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsmittel, wodurch bessere Bedingungen für den Arbeitenden geschaffen werden.“
Individuell fördern
Ein gutes Beispiel ist der Passivlifter, dessen Einsatz er an einem besonderen Bewohner demonstriert. Er hat nach mehreren Erkrankungen sein rechtes Bein verloren und im linken Lähmungserscheinungen. Sein Interesse für Sport ist geblieben: Poster von Wrestling-Superstars schmücken sein erstaunlich großes Zimmer, den TV-Receiver ziert das Wappen des FC Bayern München. Aus seinem Rollstuhl ins Bett gelangt er nun nicht mehr wie früher mithilfe der Muskelkraft des Pflegepersonals, sondern mit technischer Unterstützung: wenige Handgriffe, schnell und schonend für alle Beteiligten. Ein weiterer Vorteil der Hilfsmittel: Sie bauen auf den – soweit vorhandenen – Ressourcen der Bewohner auf. „So finden wir individuelle Lösungen, um die Mobilität der Bewohner zu erhalten und zu fördern.“ Florian Taibl hat die Ausbildung zum „Ergo-Coach“ durchlaufen und gibt sein Wissen nicht nur in Hittisau weiter. Die gemeinnützige Pflegegesellschaft Benevit betreibt in Vorarlberg fünf weitere Sozialzentren und Pflegeheime. Diese Standorte besucht Taibl als Ergonomie-Beauftragter im Auftrag von Benevit regelmäßig.
Damit sich die 24 Bewohner in Hittisau wohlfühlen, ist Taibl ein „hoameliges“ Ambiente wichtig. Sie sollen sich nicht wie im Krankenhaus fühlen. Dazu tragen auch Veranstaltungen wie Chor- und Musiknachmittage, Kaffeeklatsch sowie ehrenamtliche Helfer bei. Jeder Besucher ist willkommen, strikte Besuchszeiten gibt es nicht.
Mit Herz und Verstand
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Nur wenn es den Pflegekräften gut geht, kann es auch den Bewohnern eines Pflegeheims gut gehen. Florian Taibl setzt sich für ergonomische Arbeitsbedingungen ein.
Seine Entscheidung für einen Pflegeberuf fiel zunächst zufällig. Florian Taibl (36) wuchs in Egg auf und verbrachte seinen Zivildienst im dortigen Vinzenzheim. Schon damals machte ihm die Arbeit Spaß. Nach einem Semester Intermedia-Studium war ihm endgültig klar: „Der soziale Bereich liegt mir mehr.“ Nach absolvierter Krankenpflegeschule in Bregenz kehrte er in seine Heimatgemeinde zurück.
Im Jahr 2008 brannte das Vinzenzheim ab, zwölf Menschen kamen ums Leben. Einige davon hatte er jahrelang gekannt und gepflegt. „Wie allen anderen ging es mir anfangs natürlich schlecht. Durch den raschen Beginn mit meiner Arbeit im Pflegeheim Hittisau einen Monat später konnte ich loslassen und mich wieder auf die Zukunft fokussieren.“ Vorherige Fortbildungen im Umgang mit Sterbefällen halfen ihm durch die schwere Zeit.
In Hittisau ist er geblieben und stellvertretender Heimleiter geworden. Aufgaben am Schreibtisch und direkt in der Pflege wechseln sich bei ihm ab. Die tägliche Autofahrt von seinem Wohnort Wolfurt nimmt er gerne in Kauf: „Morgens geht´s eher im Halbschlaf routiniert nach Hittisau. Abends kann ich die Fahrt gut dazu nützen, mit Hilfe von lauter Musik von der Arbeit abzuschalten – Metal, Punk und New-Wave-Musik aus der 80-ern sei Dank!“ Das Team in Hittisau gefalle ihm sehr: „Alle ziehen am selben Strang, ohne Konkurrenzgedanken.“ Ein weiterer Pluspunkt sind individuell abgestimmte Dienstpläne und die „Wälder“ Kollegen: „Das sind super Arbeitsbedingungen.“ Dazu trägt er mit seiner offenen Art und seiner Spezialisierung als „Ergo-Coach“ direkt bei.
Keine Chance für Rückenschmerzen
Ergonomie ist ein großes Thema für Pflegekräfte. So erfüllend ihre Arbeit sein kann – sie ist psychisch und physisch sehr fordernd. Rückenschmerzen sind die Berufskrankheit Nummer eins, weiß Florian aus eigener Erfahrung: „Bei mir selbst hat es bereits während des Zivildienstes zum ersten Mal im Rücken gezwickt.“ Das häufige Heben und Drehen der Bewohner hinterlässt seine Spuren. Besonders dann, wenn die Pflegekräfte Hilfsmittel nicht oder zu selten einsetzen. Dabei sind diese Geräte häufig schon da, müssen gar nicht extra angeschafft werden. „Doch einige sagen, per Hand gehe es schneller. Dabei stimmt das gar nicht“, weiß er. Die Macht der Gewohnheit erschwert hier und da ein Umdenken. Denn nicht nur die Bewohner, auch die Pflegekräfte sollen gut alt werden können. Die Basis ist die Mentalität seiner Kollegen und vor allem Kolleginnen: „Viele schauen zwar sehr auf die Gesundheit der Bewohner, aber viel zu wenig auf ihr eigenes Wohl. Dabei profitieren alle davon, wenn es den Pflegekräften gut geht. Das ist eine klassische Win-Win-Situation. Wenn ich unter Schmerzen arbeiten muss, habe ich schlechte Laune. Das wirkt sich auch negativ auf die Bewohner aus.“
Info
Ergonomie ist die Wissenschaft von der menschlichen Arbeit. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern „ergon“ (Arbeit) und „nomos“ (Gesetz, Regel) zusammen. Das Gabler-Wirtschaftslexikon sieht das Ziel der Ergonomie am Arbeitsplatz darin, „Arbeit an die Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen bei der Arbeit anzupassen. Dies geschieht durch die Optimierung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsmittel, wodurch bessere Bedingungen für den Arbeitenden geschaffen werden.“
Individuell fördern
Ein gutes Beispiel ist der Passivlifter, dessen Einsatz er an einem besonderen Bewohner demonstriert. Er hat nach mehreren Erkrankungen sein rechtes Bein verloren und im linken Lähmungserscheinungen. Sein Interesse für Sport ist geblieben: Poster von Wrestling-Superstars schmücken sein erstaunlich großes Zimmer, den TV-Receiver ziert das Wappen des FC Bayern München. Aus seinem Rollstuhl ins Bett gelangt er nun nicht mehr wie früher mithilfe der Muskelkraft des Pflegepersonals, sondern mit technischer Unterstützung: wenige Handgriffe, schnell und schonend für alle Beteiligten. Ein weiterer Vorteil der Hilfsmittel: Sie bauen auf den – soweit vorhandenen – Ressourcen der Bewohner auf. „So finden wir individuelle Lösungen, um die Mobilität der Bewohner zu erhalten und zu fördern.“ Florian Taibl hat die Ausbildung zum „Ergo-Coach“ durchlaufen und gibt sein Wissen nicht nur in Hittisau weiter. Die gemeinnützige Pflegegesellschaft Benevit betreibt in Vorarlberg fünf weitere Sozialzentren und Pflegeheime. Diese Standorte besucht Taibl als Ergonomie-Beauftragter im Auftrag von Benevit regelmäßig.
Damit sich die 24 Bewohner in Hittisau wohlfühlen, ist Taibl ein „hoameliges“ Ambiente wichtig. Sie sollen sich nicht wie im Krankenhaus fühlen. Dazu tragen auch Veranstaltungen wie Chor- und Musiknachmittage, Kaffeeklatsch sowie ehrenamtliche Helfer bei. Jeder Besucher ist willkommen, strikte Besuchszeiten gibt es nicht.
Ausstellung in Hittisau
„Pflege das Leben“ heißt die aktuelle Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau, das einen Steinwurf vom Pflegeheim entfernt liegt. Sie versteht sich als „kulturhistorische und gesellschaftspolitische Annäherung an ein komplexes Thema“. Noch bis zum 7. Oktober 2018 stehen die Themen Betreuung, Pflege und Sorgekultur im Mittelpunkt. Öffnungszeiten: Mi 14 – 17, Do – So 10 – 17 Uhr, Mo und Di geschlossen. www.frauenmuseum.at
Regionale Versorgung
Für Florian Taibl ist seine Aufgabe mehr Berufung als Beruf, er investiert gerne Herz und Verstand. Anspruchsvoll bleibt sein Job: „Generell streng sind die Momente in der Pflege, bei denen ich mich fünfteilen können sollte. Der Zeitdruck kann in der Pflege immens sein.“ Den nötigen Ausgleich findet er vor allem bei seiner Frau und den drei Töchtern und in der Natur. Bewegung ist für ihn sehr wichtig, sei es im heimischen Garten oder am liebsten auf dem Snowboard. Manchmal erlaubt es sein Dienstplan, nach der Arbeit direkt in den Schnee zu starten. Am Hochhäderich ist er mit dem Auto in höchstens 15 Minuten.
Das Heim in Hittisau ist sehr beliebt, die Plätze sind schnell belegt. Die Versorgung auf dem Land, im Heimatort funktioniert. Für einen Platz im Pflegeheim ist kein Umzug ins Rheintal nötig. Eher ist das Gegenteil der Fall: „Wir haben sogar Anfragen aus Bregenz und Dornbirn, anscheinend haben wir einen guten Ruf“, sagt er mit einem Lächeln. Angesichts der demografischen Entwicklung weiß er, dass Pflegeberufe Zukunft haben. Er hat seinen Platz gefunden. Nach der Pflegeschule hatte er kurz mit dem Gedanken gespielt, eine Stelle in einem Krankenhaus zu suchen. Doch das ist vorbei: „Ich will gar nicht mehr von hier weg.“