Quereinstieg ins berufliche Glück
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Von der Baustelle ins Seniorenheim: Jerónimo Rodríguez López hat seine Erfüllung gefunden. Als Diplom-Sozialbetreuer geht er auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohner ein, schenkt und empfängt Vertrauen.
Eigentlich sollte er nur ein Jahr in Vorarlberg bleiben. Der heute 52-Jährige kam 1989 aus Nicaragua nach Österreich. Damals hatte er in der Heimat eine Lehre zum Textiltechniker begonnen. Zufällig unterrichtete ihn eine Lehrerin aus dem Bregenzerwald, die ein Lehrgangsjahr in Vorarlberg organisierte. „Hier ist mir dann eine Frau dazwischengekommen“, erzählt Jerónimo Rodríguez López lachend. Drei Jahre arbeitete er bei Fussenegger in Dornbirn. „Eigentlich wollte ich bereits zu dieser Zeit in den Pflegebereich“, erinnert er sich. „Ich habe schon immer für Gerechtigkeit gekämpft, auch noch in Nicaragua als Anhänger der Sandinisten im Bürgerkrieg. Solidarität ist seit jeher ein großes Thema für mich. Ich bin so erzogen worden, Respekt vor alten Menschen zu haben.“ Doch die Vorarlberger Textilbranche steckte damals in der Krise, für die Umschulung in den Pflegebereich gab es wenig Unterstützung. So entschloss sich Jerónimo, eine Maurerlehre zu machen und arbeitete 23 Jahre lang als Baupolier. Den Weg in seinen Traumberuf traute er sich erst zu, als er es sich in seiner familiären Situation leisten konnte. Fünf Kinder hat er, drei davon brachte er aus Nicaragua mit.
Jerónimo Rodríguez López fällt auf, das weiß er selbst. „Ich schaue wie ein Indianer aus“, sagt er lächelnd. Waren die Bewohner des Seniorenheims Schützengarten in Lustenau, in dem er seit viereinhalb Jahren arbeitet, davon anfangs irritiert? „Das habe ich mich auch gefragt. Aber tatsächlich war das nie ein Thema. Du musst ihnen nur etwas Vertrauen geben, dann gibt es keine Probleme.“
Reflektiert
Sein Berufswechsel startete mit einem Praktikum im Pflegeheim Dornbirn Höchsterstraße. Nach einer ausführlichen Beratung bei der connexia Implacementstiftung Betreuung und Pflege entschied er sich für die Ausbildung zum Diplom-Sozialbetreuer für Altenarbeit. Drei Jahre lang dauerte die Ausbildung an der Schule für Sozialbetreuungsberufe SOB in Bregenz. Arbeitsmarktservice und das Seniorenheim Lustenau unterstützten ihn in dieser Zeit finanziell im Rahmen der Implacementstiftung.
Während diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP) mehr medizinische Tätigkeiten übernehmen dürfen, sieht Rodríguez López seine Aufgabe nicht zuletzt darin, die „Seelen seiner Bewohner“ zu pflegen. Dazu gehöre für ihn, ihre individuellen Bedürfnisse zu erkennen und das richtige Maß von Nähe und Distanz zu finden. „Validation“ ist ein Begriff, den er häufig verwendet. Diese Kommunikationsmethode hilft vor allem im wertschätzenden Umgang mit Demenzkranken. Er nimmt die Bewohner so, wie sie sind, und lässt sich auf ihre Welt ein. „Eine präzise Wahrnehmung ist sehr wichtig“, sagt er. Auch bei sich selbst schaut er genau hin, fragt sich und seine Kollegen immer wieder, was er gut oder schlecht gemacht hat.
Sozial-Betreuer/in
Mitarbeitende der Sozialbetreuungsberufe begleiten Menschen umfassend. Im Fokus stehen soziale Bedürfnisse wie Körperpflege, Ernährung und Wohnen, aber auch sozialrechtliche Fragen. Arbeitssuchende, die eine Ausbildung als HeimhelferIn, Fach-SozialbetreuerIn oder Diplom-SozialbetreuerIn anstreben, erhalten finanzielle Unterstützung.
„Ein richtiger Vorarlberger“
Von den acht Nicaraguanern, die als Textil-Lehrlinge vor knapp 30 Jahren nach Vorarlberg kamen, ist nur er geblieben. Dass nach dem Bürgerkrieg in Nicaragua die Sandinisten die Macht abgeben musste und von den Konservativen abgelöst wurden, war für Jerónimo und seine Frau Brigitte ein weiterer Grund, nicht zurückzukehren. Hin und wieder kommt jemand aus seiner Heimat zu Besuch. Die Mentalität sei hier eine ganz andere, findet er. Doch er hat sich längst bestens angepasst und viel von den Einheimischen auf- und angenommen. Der Dialekt geht ihm locker von den Lippen, in Dornbirn wohnt er mit seiner Familie in einem kleinen Haus.
Sein schmunzelndes Fazit: „Ich bin schon ein richtiger Vorarlberger.“ Hier findet er die richtige Umgebung für seine Hobbys. Bewegung ist nicht nur für die Bewohner wichtig, sondern auch für ihn selbst. Früher spielte er Fußball und hat von seinem Arbeitsplatz freie Sicht auf das benachbarte Stadion von Austria Lustenau. Mittlerweile mag er Wandern lieber, die Berge rund um Damüls haben es ihm und seiner Frau besonders angetan. Außerdem hört er viel Latino-Musik, tanzt gerne und spielt etwas Cajón.
Quereinstieg ins berufliche Glück
Text: Thorsten Bayer
Fotos und Video: Markus Gmeiner/Yohana Papa Onyango
Von der Baustelle ins Seniorenheim: Jerónimo Rodríguez López hat seine Erfüllung gefunden. Als Diplom-Sozialbetreuer geht er auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohner ein, schenkt und empfängt Vertrauen.
Eigentlich sollte er nur ein Jahr in Vorarlberg bleiben. Der heute 52-Jährige kam 1989 aus Nicaragua nach Österreich. Damals hatte er in der Heimat eine Lehre zum Textiltechniker begonnen. Zufällig unterrichtete ihn eine Lehrerin aus dem Bregenzerwald, die ein Lehrgangsjahr in Vorarlberg organisierte. „Hier ist mir dann eine Frau dazwischengekommen“, erzählt Jerónimo Rodríguez López lachend. Drei Jahre arbeitete er bei Fussenegger in Dornbirn. „Eigentlich wollte ich bereits zu dieser Zeit in den Pflegebereich“, erinnert er sich. „Ich habe schon immer für Gerechtigkeit gekämpft, auch noch in Nicaragua als Anhänger der Sandinisten im Bürgerkrieg. Solidarität ist seit jeher ein großes Thema für mich. Ich bin so erzogen worden, Respekt vor alten Menschen zu haben.“
Doch die Vorarlberger Textilbranche steckte damals in der Krise, für die Umschulung in den Pflegebereich gab es wenig Unterstützung. So entschloss sich Jerónimo, eine Maurerlehre zu machen und arbeitete 23 Jahre lang als Baupolier. Den Weg in seinen Traumberuf traute er sich erst zu, als er es sich in seiner familiären Situation leisten konnte. Fünf Kinder hat er, drei davon brachte er aus Nicaragua mit.
Jerónimo Rodríguez López fällt auf, das weiß er selbst. „Ich schaue wie ein Indianer aus“, sagt er lächelnd. Waren die Bewohner des Seniorenheims Schützengarten in Lustenau, in dem er seit viereinhalb Jahren arbeitet, davon anfangs irritiert? „Das habe ich mich auch gefragt. Aber tatsächlich war das nie ein Thema. Du musst ihnen nur etwas Vertrauen geben, dann gibt es keine Probleme.“
Reflektiert
Sein Berufswechsel startete mit einem Praktikum im Pflegeheim Dornbirn Höchsterstraße. Nach einer ausführlichen Beratung bei der connexia Implacementstiftung Betreuung und Pflege entschied er sich für die Ausbildung zum Diplom-Sozialbetreuer für Altenarbeit. Drei Jahre lang dauerte die Ausbildung an der Schule für Sozialbetreuungsberufe SOB in Bregenz. Arbeitsmarktservice und das Seniorenheim Lustenau unterstützten ihn in dieser Zeit finanziell im Rahmen der Implacementstiftung.
Während diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP) mehr medizinische Tätigkeiten übernehmen dürfen, sieht Rodríguez López seine Aufgabe nicht zuletzt darin, die „Seelen seiner Bewohner“ zu pflegen. Dazu gehöre für ihn, ihre individuellen Bedürfnisse zu erkennen und das richtige Maß von Nähe und Distanz zu finden. „Validation“ ist ein Begriff, den er häufig verwendet. Diese Kommunikationsmethode hilft vor allem im wertschätzenden Umgang mit Demenzkranken. Er nimmt die Bewohner so, wie sie sind, und lässt sich auf ihre Welt ein. „Eine präzise Wahrnehmung ist sehr wichtig“, sagt er. Auch bei sich selbst schaut er genau hin, fragt sich und seine Kollegen immer wieder, was er gut oder schlecht gemacht hat.
Sozialbetreuer/in
Mitarbeitende der Sozialbetreuungsberufe begleiten Menschen umfassend. Im Fokus stehen soziale Bedürfnisse wie Körperpflege, Ernährung und Wohnen, aber auch sozialrechtliche Fragen. Arbeitssuchende, die eine Ausbildung als HeimhelferIn, Fach-SozialbetreuerIn oder Diplom-SozialbetreuerIn anstreben, erhalten finanzielle Unterstützung.
„Ein richtiger Vorarlberger“
Von den acht Nicaraguanern, die als Textil-Lehrlinge vor knapp 30 Jahren nach Vorarlberg kamen, ist nur er geblieben. Dass nach dem Bürgerkrieg in Nicaragua die Sandinisten die Macht abgeben musste und von den Konservativen abgelöst wurden, war für Jerónimo und seine Frau Brigitte ein weiterer Grund, nicht zurückzukehren. Hin und wieder kommt jemand aus seiner Heimat zu Besuch. Die Mentalität sei hier eine ganz andere, findet er. Doch er hat sich längst bestens angepasst und viel von den Einheimischen auf- und angenommen. Der Dialekt geht ihm locker von den Lippen, in Dornbirn wohnt er mit seiner Familie in einem kleinen Haus.
Sein schmunzelndes Fazit: „Ich bin schon ein richtiger Vorarlberger.“ Hier findet er die richtige Umgebung für seine Hobbys. Bewegung ist nicht nur für die Bewohner wichtig, sondern auch für ihn selbst. Früher spielte er Fußball und hat von seinem Arbeitsplatz freie Sicht auf das benachbarte Stadion von Austria Lustenau. Mittlerweile mag er Wandern lieber, die Berge rund um Damüls haben es ihm und seiner Frau besonders angetan. Außerdem hört er viel Latino-Musik, tanzt gerne und spielt etwas Cajón.
Aktiv in den Nachmittag
Sein Arbeitstag im Seniorenheim Schützengarten startet um sieben Uhr. Er hilft fünf Bewohnern beim Aufstehen und Waschen, gibt ihnen auf Anordnung ihre Medikamente und bringt sie zum Frühstück. Nachmittags geht es um Aktivierung – das ist seine Lieblingsaufgabe: Auf dem Programm steht dann beispielsweise Musik machen oder Qigong im Sitzen. In Absprache mit den Angehörigen unternimmt er immer wieder kleine Spaziergänge mit den alten Damen und Herren. Schöne Momente erlebt er, „wenn mir die alten Leute etwas erzählen und ich spüre, dass sie mir vertrauen. Das macht diesen Beruf für mich aus.“ Und was sind die schwierigen Seiten?
Bei dieser Frage muss er – zum ersten Mal in diesem Gespräch – lange überlegen. Für Kollegen im Nachtdienst, die viele Dinge gleichzeitig zu erledigen hätten, sei es wahrscheinlich stressiger. Aber für ihn? „Vor zwei Wochen ist eine Bewohnerin gestorben“, erzählt er schließlich. „Da war ein professioneller Umgang wichtig, damit man die Situation nicht zu nah an sich herankommen lässt.“
Aktiv in den Nachmittag
Sein Arbeitstag im Seniorenheim Schützengarten startet um sieben Uhr. Er hilft fünf Bewohnern beim Aufstehen und Waschen, gibt ihnen auf Anordnung ihre Medikamente und bringt sie zum Frühstück. Nachmittags geht es um Aktivierung – das ist seine Lieblingsaufgabe: Auf dem Programm steht dann beispielsweise Musik machen oder Qigong im Sitzen. In Absprache mit den Angehörigen unternimmt er immer wieder kleine Spaziergänge mit den alten Damen und Herren. Schöne Momente erlebt er, „wenn mir die alten Leute etwas erzählen und ich spüre, dass sie mir vertrauen. Das macht diesen Beruf für mich aus.“
Und was sind die schwierigen Seiten? Bei dieser Frage muss er – zum ersten Mal in diesem Gespräch – lange überlegen. Für Kollegen im Nachtdienst, die viele Dinge gleichzeitig zu erledigen hätten, sei es wahrscheinlich stressiger. Aber für ihn? „Vor zwei Wochen ist eine Bewohnerin gestorben“, erzählt er schließlich. „Da war ein professioneller Umgang wichtig, damit man die Situation nicht zu nah an sich herankommen lässt.“