Pflege berührt

Theresia ist wie eine Mama für mich

Text: Thors­ten Bayer
Fotos: Mar­kus Gmeiner

Um The­re­sia Geser (85) aus Andels­buch küm­mern sich abwech­selnd zwei 24-Stun­den-Betreue­rin­nen. Eine von ihnen ist Kata­rína Juhás­sová, die über ihren Job­wech­sel glück­lich ist.

Irgend­wann reichte es ihr ein­fach. Seit ihrem 18. Lebens­jahr hatte sie bei der slo­wa­ki­schen Eisen­bahn gear­bei­tet, unter ande­rem als Chef­se­kre­tä­rin. Doch mit der Pri­va­ti­sie­rung wur­den die Arbeits­be­din­gun­gen immer schwie­ri­ger. „Ich will etwas ande­res machen“, sagte sich Kata­rína Juhás­sová und fing im Jän­ner 2012 an, Deutsch zu ler­nen. Unter­stützt wurde sie von ihrem Ehe­mann Alex­an­der, der als Inva­lide schon früh in Pen­sion gegan­gen war und sie nun Voka­beln abfragte. Mit gro­ßem Erfolg: Heute spricht sie flie­ßend Deutsch. „Aus mei­nem Dorf arbei­ten ziem­lich viele Frauen als Betreue­rin­nen in Öster­reich. Ich dachte mir: Wenn sie das kön­nen, schaffe ich das auch“, erzählt die heute 56-Jährige.

Sie sollte Recht behal­ten: Über eine Agen­tur kam sie wenige Monate spä­ter nach Andels­buch und betreute drei Jahre lang eine ältere Frau bis zu ihrem Tod. Seit dem Som­mer 2015 küm­mert sie sich um The­re­sia Geser: Sie hilft der alten Dame beim Auf­ste­hen, An- und Aus­zie­hen, bei der Mor­gen­wä­sche und kocht für sie. Das fer­tige Essen schnei­det sie ihr klein, essen kann Frau Geser noch selbst. Außer­dem hilft Kata­rína beim Weg ins Bad, das im ers­ten Stock liegt. Ein­mal pro Woche kommt außer­dem eine Mit­ar­bei­te­rin des Kran­ken­pfle­ge­ver­eins. Ebenso oft unter­stützt die bei­den der Mobile Hilfs­dienst, bei­spiels­weise bei Arztbesuchen.

Berühm­ter Vorfahr
Sonn­tags gehen The­re­sia und Kata­rína in die Kir­che. Bis vor Kur­zem waren kleine Spa­zier­gänge noch zu Fuß mög­lich. Jetzt hat sich The­re­sias Zustand ver­schlech­tert, der Roll­stuhl kommt nun häu­fi­ger zum Ein­satz. Zum Glück ist der Weg zur Kir­che nicht weit, sie müs­sen nur die Haupt­straße über­que­ren: Ihr Zuhause ist das ehe­ma­lige Gast­haus Taube. In einem alten Gäs­te­buch schwärmt eine Dele­ga­tion der Firma Grass in einem Ein­trag aus dem Sep­tem­ber 1995: „Die Käs­knöpfle schmeck­ten auch unse­ren ame­ri­ka­ni­schen Freun­den und Arbeits­kol­le­gen sehr gut.“ The­re­sia – die frü­here Wir­tin – schläft heute in einer der Stu­ben des mäch­ti­gen Hau­ses, das unter Denk­mal­schutz steht und bis heute keine Klin­gel hat. Direkt hin­ter der Ein­gangs­tür hängt an der lin­ken Wand das Bild des weit­ver­zweig­ten Stamm­baums, der das Inter­esse des Besu­chers weckt. The­re­sia ist das jüngste von acht Kin­dern und das ein­zige, das noch lebt. Ihr Groß­va­ter war Jodok Fink, 1919 bis 1920 Vize­kanz­ler im Kabi­nett von Karl Ren­ner. Gegen­über des Bre­gen­zer Bahn­hofs steht ein Denk­mal zu sei­nen Ehren.

Das Reden über­nimmt an die­sem son­ni­gen Nach­mit­tag ihre Betreue­rin, die leicht demente The­re­sia Geser ist schwer­hö­rig und dazu viel­leicht etwas ner­vös. „Sie ist eine ganz ange­nehme Frau“, sagt Kata­rína Juhás­sová, „wir kön­nen mit­ein­an­der über alles reden. Sie ist wie eine Mama für mich.“

Gemein­same Spiele
Immer drei Wochen ist sie vor Ort in Andels­buch. Dann über­gibt sie an ihre Kol­le­gin Viera Orav­cová, eben­falls eine Slo­wa­kin, und fährt für drei Wochen zurück in die Heimat­ in ein klei­nes Dorf nahe der Grenze zu Ungarn und zur Ukraine. Der Weg ist weit: Mit dem Zug über Dorn­birn, Wien, Bra­tis­lava und Košice braucht sie acht­zehn Stun­den. „Mir macht das gar nichts mehr aus, ich habe mich an die lange Fahrt gewöhnt“, sagt sie. Anders emp­fin­det das Alex­an­der, der zum ers­ten Mal seine Frau auf die 1.200 Kilo­me­ter lange Reise in den Wes­ten beglei­tet hat. Er hilft im ehe­ma­li­gen Gast­haus Taube mit; gießt Blu­men und repa­riert den Zaun. Heute Mit­tag hat er gekocht: Gemü­se­suppe und als Haupt­gang Fisch mit Brat­kar­tof­feln und Blu­men­kohl. The­re­sia Geser lächelt, seine Gerichte haben die frü­here Gas­tro­no­min überzeugt.

24-Stunden-Betreuung

Per­so­nen­be­treue­rin­nen und ‑betreuer unter­stüt­zen bedürf­tige Men­schen zuhause, häu­fig in Form einer 24-Stun­den-Betreu­ung. Sie hel­fen ihnen im Haus­halt, gestal­ten den Tages­ab­lauf und unter­stüt­zen sie zum Bei­spiel bei der Kör­per­pflege oder beim Essen. Ver­mit­telt wer­den Personenbetreuer/innen unter ande­rem vom Vor­arl­ber­ger Betreuungspool.

Den Nach­mit­tag ver­trei­ben sich die bei­den Frauen häu­fig spie­le­risch, vor allem mit „Mensch ärgere Dich nicht“. Dabei hat Kata­rína Juhás­sová meist das Nach­se­hen, erzählt sie lachend: „The­re­sia hat so gro­ßes Glück und schmeißt mich immer raus.“ Gegen 20 Uhr geht Frau Geser ins Bett, eine der bei­den Haus­kat­zen legt sich zu der alten Dame. Nun hat ihre Betreue­rin Zeit, um etwas fern­zu­se­hen, zu stri­cken oder zu lesen. Der­zeit hat es ihr ein Buch über die sie­ben Welt­wun­der der Antike angetan.

Zweite Hei­mat
Ihre neue Auf­gabe erfüllt sie. „Es war ein gro­ßer Wech­sel für mich. Die neue Arbeit ist viel ruhi­ger als frü­her“, sagt sie. „Mir gefällt es beson­ders gut, selbst Che­fin zu sein. Es ist meine freie Ent­schei­dung, wie der Tag abläuft.“ In Andels­buch ist Juhás­sová bes­tens inte­griert. „Mich ken­nen fast alle Ein­hei­mi­schen“, erzählt sie. Immer wie­der werde sie auf der Straße ange­spro­chen, wie es The­re­sia gehe. Allein in der Fremde? Ganz im Gegen­teil, sagt sie: „Ich habe hier mehr Kon­takt zu Freun­din­nen als zuhause.“ Der Bre­gen­zer­wald ist ihr längst zur zwei­ten Hei­mat gewor­den. Hier hat sie eine rumä­ni­sche und eine slo­wa­ki­sche Kol­le­gin ken­nen­ge­lernt. In ihrer Mit­tags­pause zwi­schen 13 und 15 Uhr („Ich habe Glück, The­re­sia schläft gut“) trifft sie sich häu­fig mit den bei­den, um kleine Aus­flüge zu Fuß oder mit dem Fahr­rad zu machen – bei­spiels­weise zur Eis­diele oder zu den Was­ser­fäl­len zwi­schen Andels­buch und Egg. Im ver­gan­ge­nen Jahr hat Enkel Tomas (11) seine Oma nach Vor­arl­berg beglei­tet. „Es gefällt allen sehr gut hier“, fasst sie die Ein­drü­cke ihrer Fami­lie zusam­men. Die Natur fas­zi­niere sie, aus ihrer Hei­mat seien sie nur Flach­land gewohnt. Den lan­gen Weg nach Andels­buch wird Kata­rína Juhás­sová auch beim nächs­ten Mal wie­der gerne auf sich nehmen.

Theresia ist wie eine Mama für mich

Text: Thors­ten Bayer
Fotos: Mar­kus Gmeiner

Um The­re­sia Geser (85) aus Andels­buch küm­mern sich abwech­selnd zwei 24-Stun­den-Betreue­rin­nen. Eine von ihnen ist Kata­rína Juhás­sová, die über ihren Job­wech­sel glück­lich ist.

Irgend­wann reichte es ihr ein­fach. Seit ihrem 18. Lebens­jahr hatte sie bei der slo­wa­ki­schen Eisen­bahn gear­bei­tet, unter ande­rem als Chef­se­kre­tä­rin. Doch mit der Pri­va­ti­sie­rung wur­den die Arbeits­be­din­gun­gen immer schwie­ri­ger. „Ich will etwas ande­res machen“, sagte sich Kata­rína Juhás­sová und fing im Jän­ner 2012 an, Deutsch zu ler­nen. Unter­stützt wurde sie von ihrem Ehe­mann Alex­an­der, der als Inva­lide schon früh in Pen­sion gegan­gen war und sie nun Voka­beln abfragte. Mit gro­ßem Erfolg: Heute spricht sie flie­ßend Deutsch. „Aus mei­nem Dorf arbei­ten ziem­lich viele Frauen als Betreue­rin­nen in Öster­reich. Ich dachte mir: Wenn sie das kön­nen, schaffe ich das auch“, erzählt die heute 56-Jährige.

Sie sollte Recht behal­ten: Über eine Agen­tur kam sie wenige Monate spä­ter nach Andels­buch und betreute drei Jahre lang eine ältere Frau bis zu ihrem Tod. Seit dem Som­mer 2015 küm­mert sie sich um The­re­sia Geser: Sie hilft der alten Dame beim Auf­ste­hen, An- und Aus­zie­hen, bei der Mor­gen­wä­sche und kocht für sie. Das fer­tige Essen schnei­det sie ihr klein, essen kann Frau Geser noch selbst. Außer­dem hilft Kata­rína beim Weg ins Bad, das im ers­ten Stock liegt. Ein­mal pro Woche kommt außer­dem eine Mit­ar­bei­te­rin des Kran­ken­pfle­ge­ver­eins. Ebenso oft unter­stützt die bei­den der Mobile Hilfs­dienst, bei­spiels­weise bei Arztbesuchen.

Berühm­ter Vorfahr
Sonn­tags gehen The­re­sia und Kata­rína in die Kir­che. Bis vor Kur­zem waren kleine Spa­zier­gänge noch zu Fuß mög­lich. Jetzt hat sich The­re­sias Zustand ver­schlech­tert, der Roll­stuhl kommt nun häu­fi­ger zum Ein­satz. Zum Glück ist der Weg zur Kir­che nicht weit, sie müs­sen nur die Haupt­straße über­que­ren: Ihr Zuhause ist das ehe­ma­lige Gast­haus Taube. In einem alten Gäs­te­buch schwärmt eine Dele­ga­tion der Firma Grass in einem Ein­trag aus dem Sep­tem­ber 1995: „Die Käs­knöpfle schmeck­ten auch unse­ren ame­ri­ka­ni­schen Freun­den und Arbeits­kol­le­gen sehr gut.“ The­re­sia – die frü­here Wir­tin – schläft heute in einer der Stu­ben des mäch­ti­gen Hau­ses, das unter Denk­mal­schutz steht und bis heute keine Klin­gel hat. Direkt hin­ter der Ein­gangs­tür hängt an der lin­ken Wand das Bild des weit­ver­zweig­ten Stamm­baums, der das Inter­esse des Besu­chers weckt. The­re­sia ist das jüngste von acht Kin­dern und das ein­zige, das noch lebt. Ihr Groß­va­ter war Jodok Fink, 1919 bis 1920 Vize­kanz­ler im Kabi­nett von Karl Ren­ner. Gegen­über des Bre­gen­zer Bahn­hofs steht ein Denk­mal zu sei­nen Ehren.

Das Reden über­nimmt an die­sem son­ni­gen Nach­mit­tag ihre Betreue­rin, die leicht demente The­re­sia Geser ist schwer­hö­rig und dazu viel­leicht etwas ner­vös. „Sie ist eine ganz ange­nehme Frau“, sagt Kata­rína Juhás­sová, „wir kön­nen mit­ein­an­der über alles reden. Sie ist wie eine Mama für mich.“

24-Stunden-Betreuung

Per­so­nen­be­treue­rin­nen und ‑betreuer unter­stüt­zen bedürf­tige Men­schen zuhause, häu­fig in Form einer 24-Stun­den-Betreu­ung. Sie hel­fen ihnen im Haus­halt, gestal­ten den Tages­ab­lauf und unter­stüt­zen sie zum Bei­spiel bei der Kör­per­pflege oder beim Essen. Ver­mit­telt wer­den Personenbetreuer/innen unter ande­rem vom Vor­arl­ber­ger Betreuungspool.

Gemein­same Spiele
Immer drei Wochen ist sie vor Ort in Andels­buch. Dann über­gibt sie an ihre Kol­le­gin Viera Orav­cová, eben­falls eine Slo­wa­kin, und fährt für drei Wochen zurück in die Heimat­ in ein klei­nes Dorf nahe der Grenze zu Ungarn und zur Ukraine. Der Weg ist weit: Mit dem Zug über Dorn­birn, Wien, Bra­tis­lava und Košice braucht sie acht­zehn Stun­den. „Mir macht das gar nichts mehr aus, ich habe mich an die lange Fahrt gewöhnt“, sagt sie. Anders emp­fin­det das Alex­an­der, der zum ers­ten Mal seine Frau auf die 1.200 Kilo­me­ter lange Reise in den Wes­ten beglei­tet hat. Er hilft im ehe­ma­li­gen Gast­haus Taube mit; gießt Blu­men und repa­riert den Zaun. Heute Mit­tag hat er gekocht: Gemü­se­suppe und als Haupt­gang Fisch mit Brat­kar­tof­feln und Blu­men­kohl. The­re­sia Geser lächelt, seine Gerichte haben die frü­here Gas­tro­no­min überzeugt.

Den Nach­mit­tag ver­trei­ben sich die bei­den Frauen häu­fig spie­le­risch, vor allem mit „Mensch ärgere Dich nicht“. Dabei hat Kata­rína Juhás­sová meist das Nach­se­hen, erzählt sie lachend: „The­re­sia hat so gro­ßes Glück und schmeißt mich immer raus.“ Gegen 20 Uhr geht Frau Geser ins Bett, eine der bei­den Haus­kat­zen legt sich zu der alten Dame. Nun hat ihre Betreue­rin Zeit, um etwas fern­zu­se­hen, zu stri­cken oder zu lesen. Der­zeit hat es ihr ein Buch über die sie­ben Welt­wun­der der Antike angetan.

Zweite Hei­mat
Ihre neue Auf­gabe erfüllt sie. „Es war ein gro­ßer Wech­sel für mich. Die neue Arbeit ist viel ruhi­ger als frü­her“, sagt sie. „Mir gefällt es beson­ders gut, selbst Che­fin zu sein. Es ist meine freie Ent­schei­dung, wie der Tag abläuft.“ In Andels­buch ist Juhás­sová bes­tens inte­griert. „Mich ken­nen fast alle Ein­hei­mi­schen“, erzählt sie. Immer wie­der werde sie auf der Straße ange­spro­chen, wie es The­re­sia gehe. Allein in der Fremde? Ganz im Gegen­teil, sagt sie: „Ich habe hier mehr Kon­takt zu Freun­din­nen als zuhause.“ Der Bre­gen­zer­wald ist ihr längst zur zwei­ten Hei­mat gewor­den. Hier hat sie eine rumä­ni­sche und eine slo­wa­ki­sche Kol­le­gin ken­nen­ge­lernt. In ihrer Mit­tags­pause zwi­schen 13 und 15 Uhr („Ich habe Glück, The­re­sia schläft gut“) trifft sie sich häu­fig mit den bei­den, um kleine Aus­flüge zu Fuß oder mit dem Fahr­rad zu machen – bei­spiels­weise zur Eis­diele oder zu den Was­ser­fäl­len zwi­schen Andels­buch und Egg. Im ver­gan­ge­nen Jahr hat Enkel Tomas (11) seine Oma nach Vor­arl­berg beglei­tet. „Es gefällt allen sehr gut hier“, fasst sie die Ein­drü­cke ihrer Fami­lie zusam­men. Die Natur fas­zi­niere sie, aus ihrer Hei­mat seien sie nur Flach­land gewohnt. Den lan­gen Weg nach Andels­buch wird Kata­rína Juhás­sová auch beim nächs­ten Mal wie­der gerne auf sich nehmen.

Lesen Sie auch

 

 

Haben Sie Fragen zu Betreuung und Pflege?

Eine Informationskampagne des Landes Vorarlberg

 

 

Haben Sie Fragen zu Betreuung und Pflege?

Eine Informationskampagne des Landes Vorarlberg